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Meister der Unmittelbarkeit

Johannes Robert Schürch
Alles sehen

Wer war Johannes Robert Schürch (1895 – 1941)? Dieser Frage geht das Aargauer Kunsthaus mit einer subtilen und vielseitig instrumentierten Ausstellung nach. Sie versucht, den Künstler als einen der Protagonisten der frühen Moderne in der Schweiz aus der Vergessenheit zu holen.

Von Angelika Affentranger-Kirchrath

Installationsansicht von Kunstwerken von Johannes Robert Schürch im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Johannes Robert Schürch. Alles sehen
14.9.2024 – 12.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Foto: René Rötheli, Baden

Meine erste Begegnung mit Arbeiten des Künstlers führt zurück in die Zeit meiner kuratorischen Tätigkeit für das Werner Coninx Museum in Zürich. Zusammen mit dem Gegenwartskünstler Rémy Markowitsch untersuchte und ‘durchleuchtete’ ich in der Ausstellung Spirit (2005) die riesige Sammlung. Dort befand sich auch ein Konvolut mit Arbeiten auf Papier von Johannes Robert Schürch. Wir zeigten diese neben Zeichnungen und Graphiken von Fritz Pauli und Ignaz Epper. Die diesen drei wesensverwandten Künstlern gewidmete Museumswand nannten wir Dark wall. Die dunklen Töne und die bedrohliche Stimmung waren die bestimmenden Elemente. Am direktesten und nachhaltigsten betroffen machten mich die Werke von Johannes Robert Schürch.

Installationsansicht von Kunstwerken von Johannes Robert Schürch im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Johannes Robert Schürch. Alles sehen
14.9.2024 – 12.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Johannes Robert Schürch (1895 - 1941), Mich selbst, 1926
Tusche laviert auf Papier, 27.5 × 19.9 cm
Privatsammlung Zürich

Johannes Robert Schürch (1895 - 1941), Selbstbildnis, 1925
Öl auf Pavatex, 60 × 49 cm
Aargauer Kunsthaus / Schenkung der Sophie und Karl Binding-Stiftung

Johannes Robert Schürch (1895 - 1941), Selbstportrait, um 1925
Grafitstift und Tusche (Pinsel) auf Papier, 27 × 21 cm
Kunstbaus Zürich, Grafische Sammlung, Geschenk von Erica Ebinger-Leutwyler, 1986.

Foto: René Rötheli, Baden

Nun entdeckte ich einige davon in der umfassenden Ausstellung im Aargauer Kunsthaus wieder. Dunkeltonig und melancholisch wirken Schürchs Zeichnungen und Aquarelle auch hier. Düster war denn auch das Weltempfinden des Künstlers. Er wurde 1895 in Aarau geboren. Seine Familie siedelte früh nach Genf über. Dort wurde er Jahre später Assistent von Ferdinand Hodler, der ihn stilistisch prägte. Er porträtierte den Meister auf dem Totenbett. Wie Hodler erfuhr auch Schürch die Omnipräsenz des Todes. Als Kind verlor auch er den Vater und zwei seiner Geschwister. Als hätte er sein eigenes frühes Ende – er starb im Alter von 46 Jahren – vorausgeahnt, ist der Tod in seinem Werk ständig präsent, sei es explizit in der Form eines Totenschädels, oder bloss angedeutet als schwarzer Schatten. In einem späten Selbstporträt verwischen die Grenzen zwischen seinem von der Tuberkulose ausgezehrten Gesicht und dem Totenkopf– zusammen schauen sie den Betrachtenden wie aus einer fremden Welt an.

Installationsansicht von Kunstwerken von Johannes Robert Schürch im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Johannes Robert Schürch. Alles sehen
14.9.2024 – 12.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Foto: René Rötheli, Baden

In anderen Arbeiten erscheint die Auseinandersetzung mit dem Sterben wie ein Tanz mit dem Tod, gleichsam als ein Versuch, ihm trotz Not und Elend zu entkommen. Die einzige Möglichkeit dafür erkannte der Künstler in der zärtlichen Nähe zweier Menschen zueinander. Die Paare sind der Fluchtpunkt und Fixstern in diesem Werk.

Zeichnung von zwei Personen i
Johannes Robert Schürch (1895 - 1941), Paar, um 1931
Tusche (Feder) laviert auf Papier, 27.3 × 21.3 cm
Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung, Geschenk von Erica Ebinger-Leutwyler, 1986
Foto: Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung

Der wichtigste Teil des Oeuvres mit den sogenannten «Spontanzeichnungen» entstand in den 1920er bis 1930er Jahren. Wie von einem Strom mitgerissen, tauchen Ideen und Vorstellungen auf und unter. Scheinbar zufällig nehmen sie in lavierten Tuschzeichnungen oder in Aquarellen auf kleinformatigem Papier eine vorläufige Gestalt an.

Der Ausstellungstitel Alles sehen, der von Dieter Roth inspiriert ist, muss relativiert werden. «Alles» meint bei Schürch weniger die äussere sichtbare Welt, als vielmehr die innere Wirklichkeit mit ihren nicht sichtbaren Weltzusammenhängen. Schürch reiste kaum. Er lebte lange zusammen mit seiner Mutter in einem zum Atelier umfunktionierten Waldhaus ob Locarno-Monti. Hier beschäftigte er sich mit Kunst aus den verschiedensten Epochen und er las viel, – neben Literatur und Dichtung befasste er sich auch mit Astrologie und Grafologie.

Installationsansicht von Kunstwerken von Johannes Robert Schürch im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Johannes Robert Schürch. Alles sehen
14.9.2024 – 12.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Johannes Robert Schürch (1895 - 1941), Skizzenbuch 45 (SB45), o. J.
Tusche (Feder) und Farbkreide auf Papier, 33.7 × 24.7 cm
Erica Ebinger-Leutwyler Stiftung, Nachlass Johannes Robert Schürch

Foto: René Rötheli, Baden

Die Bibel gehörte für ihn zur wichtigsten Motivquelle. Womöglich bezog er sich auf den Apostel Johannes als er sich den zusätzlichen Vornamen zulegte. Und wie der Evangelist haben auch seine Visionen etwas von den Prophezeiungen der Apokalypse. Endzeitvisionen jagen sich wie die Wolken am aufgewühlten Himmel und die zum Gerippe abgemagerten Pferde. Wie die Bäume sind auch die Menschen von ihrem Schicksal verbogen und gekrümmt. Meist sind es Menschen am Rande der Gesellschaft. Armut und Not nivellieren ihr Aussehen und nehmen ihnen die Individualität. Stets werden sie nüchtern und distanziert gezeigt. Als eine Art Ecce homo.

Abstraktes Bild von Judas i
Johannes Robert Schürch (1895–1941), Judas, 1925 Aquarell, Feder, Tusche auf Papier, 27 × 21.5 cm

Am Eingang der Ausstellung empfängt uns eine Fotografie des Künstlers, der hoch auf einer Stange balanciert und uns dabei ganz gelassen entgegenschaut. Es ist ein charakteristisches Portrait, denn es stimmt wohl: dieser Künstler war zeit seines kurzen Lebens ein Seiltänzer über dem Abgrund und ein Grenzgänger zwischen der äusseren und inneren Welt.

Die sorgfältige Ausstellungs-Szenographie macht die melancholische Ausstrahlung der Arbeiten nicht nur erträglich, sie verhilft ihr gar zu einer Poesie, die den Betrachtenden verzaubert. Die hellen Wandfarben in zartem Ocker, lichtem Blau und lebensvollem Rot verbinden die Räume zum einheitlichen Erlebnis und lassen die Arbeiten Schürchs als eigenen Kosmos erfahren.

Angelika Affentranger-Kirchrath lebt und arbeitet als freischaffende Kuratorin und Kunstpublizistin in Zürich.

Installationsansicht von Kunstwerken von Johannes Robert Schürch im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Johannes Robert Schürch. Alles sehen
14.9.2024 – 12.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Foto: René Rötheli, Baden
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