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Offener Brief. Black Artists and Cultural Workers in Switzerland

Folgender Brief der Black Artists and Cultural Workers in Switzerland erreichte uns im Juni 2020.

Liebe Kulturinstitutionen, Museen, Kunsträume, Galerien und Off-Spaces in der Schweiz,

Wir haben eine Reihe von Fragen zusammengestellt, um Ihr Handeln gegen strukturellen Rassismus und White Supremacy in Ihren eigenen Strukturen selbst einzuschätzen und zu hinterfragen. Diese können als Wegweiser dienen, um zu ermitteln, welche Aspekte Ihrer Bemühungen noch mehr Engagement erfordern. Wir bitten Sie daher dringend, sich die Zeit zu nehmen, auf diese Fragen ehrlich zu antworten und alle notwendigen Schritte einzuleiten, um zukünftig jede dieser Fragen positiv beantworten zu können:

Diese Fragen sollen Ihnen als Leitfaden für nachhaltige Veränderungen helfen. Wir ermutigen Sie dazu, Ihre Antworten mit Ihrem Publikum öffentlich zu teilen, Zielsetzungen für eine verbesserte Praxis festzulegen und Ihr Engagement, eine fundamental antirassistische Organisation zu werden, regelmäßig zu überprüfen.

 

Antwort des Aargauer Kunsthauses

Aarau, 2. August 2024

Ihr offener Brief erreichte uns im Jahr 2020 und wir konnten nicht sofort darauf reagieren. Jetzt sind wir einen Schritt weiter: Wir konnten die Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin im Dialog mit einem Advisory Board entwickeln, die von September 2023 bis Januar 2024 auf 1’000 m2 im gesamten Erdgeschoss des Aargauer Kunsthauses Werke von 40 Kunstschaffenden zeigte. Mit einem Bewusstsein für Intersektionalität haben wir versucht, Raum für Vielstimmigkeit zu schaffen. In diesem Rahmen wurde unter anderem auch die Polizeigewalt in der Schweiz thematisiert – namentlich mit Werken von Sasha Huber, die Porträts von Roger Wilhelm (Nzoy), Mike Ben Peter Amadasun und Hervé Bondembe Mandundu zeigen.

Diese Ausstellung ermöglichte es uns, mehrere wichtige Werke für unsere Sammlung zu erwerben (Omar Ba, Sasha Huber, Uriel Orlow), wodurch wir nicht nur das Schaffen talentierter und von Rassismus betroffener Kunstschaffender unterstützen, sondern auch das Thema Antirassismus dauerhaft im Gedächtnis der Institution verankern. Die daraus resultierende zweisprachige Publikation ermöglichte es uns auch, Überlegungen zum strukturellen Rassismus in der Schweizer Kunstwelt zu entwickeln – beispielsweise mit einem fundierten Beitrag von Nayansaku Mufwankolo (verantwortlich für Diversität und Inklusion, HEAD Genf). Die mit der Expertin und Diversity Coach Dr. Nia Cuero durchgeführten Antirassismus-Workshops wurden vom gesamten Kunsthaus Team besucht. Uns ist bewusst, das sind erste Schritte auf dem Weg zu einem Ziel, das noch entfernt ist.

Die Fragen, die Sie uns in diesem Fragebogen stellen, weisen auf Lücken hin, die wir zu schliessen planen. Nach der Ausstellung setzen wir die Thematisierung der Diversität in unserem Team, unserem Programm und mit unserem Publikum fort. Wir sind offen für Vorschläge Ihrerseits. Wir können auch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir das Thema noch sichtbarer machen und langfristig Wirkung erzielen können.

Team Aargauer Kunsthaus

Installationsansicht eines Werkes von James Bantone mit zwei schwarzgekleideten Kinderfiguren in einem grünen Raum während der Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin i
Installationsansicht Stranger in the Village Rassismus im Spiegel von James Baldwin 3.9.2023 – 7.1.2024, Aargauer Kunsthaus James Bantone, Child's Play, 2022 Neopren, Garn, Anzug, Sicherheitsnadeln, verschiedene Masse Mit Genehmigung des Künstlers und Karma International, Zürich Foto: David Aebi, Bern

Fragen zu Programm, Zusammenarbeit mit Schwarzen* Künstler*innen und Kulturschaffenden

Wie viele Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende sind in Ihren Galerien, Sammlungen und Programmen, Ihren Residency-Programmen und Stipendien vertreten? 

Auf dem Weg zu mehr Diversität ist das Aargauer Kunsthaus noch nicht am Ziel. Vor uns liegt ein langer Weg, kein kurzer Abschnitt. Durch eine stärkere Sensibilisierung für die Thematik hat sich im Aargauer Kunsthaus in den letzten Jahren die Diversität in den Wechselausstellungen und im Veranstaltungsprogramm zwar erhöht. Bei Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin konnten wir Werken von 20 Personen of Color (PoC) Kunstschaffenden zeigen. Eine monographische Ausstellung einer PoC Künstlerin ist in Planung: 2025 wird im Rahmen des Manor Kunstpreises die Arbeit von Ishita Chakraborty ausgestellt, die bereits mehrmals im Aargauer Kunsthaus zu Gast war. Weitere Ausstellungen werden folgen.

In Ausstellungen lässt sich erfahrungsgemäss schneller reagieren und auf gesellschaftlichen Wandel eingehen. Bei der Sammlungspräsentation, die jeweils bis zu zwei Drittel der Ausstellungsfläche beansprucht, wird eine Änderung der Ankaufsstrategie erst mittel- bis langfristig spürbar werden. Die Sammlung mit Fokus „Kunst aus der Schweiz“ im Aargauer Kunsthaus geht zurück ins 18. Jahrhundert und reicht bis in Gegenwart. Es wird immer aus der Gegenwart heraus gesammelt und angekauft. Dabei wird auch auf Diversität geachtet. Diese Gegenwart – auch das Bestreben, sich zu öffnen – wird in der Zukunft sichtbar werden.

Wie viele Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende laden Sie zur Teilnahme an Ausstellungs- und Veranstaltungsprogrammen ein, die nicht von Themen wie Rassismus, Dekolonialität oder um das Thema des Schwarz-seins handeln?

Das Aargauer Kunsthaus gibt den Kunstschaffenden keine Themen vor. Die Kunstschaffenden werden aufgrund der Qualität und Aktualität ihres Schaffens zu Ausstellungen und Veranstaltungen eingeladen. PoC-Kunstschaffenden und Vermittelnde werden regelmässig eingeladen, an Ausstellungen oder Veranstaltungen teilzunehmen, die nicht direkt mit dem Thema Rassismus in Verbindung stehen (z. B. Nachhaltigkeit, Illustration, Musik, Filme, Fotografie, Vermittlung). Wir achten ausserdem darauf, dass im Rahmen von Kunstjurys (z. B. bei dem Format „Auswahl)“ die Diversität gewahrt wird.

Entlohnen Sie alle Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden, die in Ihrem Programm vertreten sind? Werden sie für ihre Arbeit genauso entlohnt wie ihre weissen Kollegen?

Ja. Das Aargauer Kunsthaus verpflichtet sich dazu, alle Kunst- und Kulturschaffenden – unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht oder Identität – gleich und angemessen zu entlöhnen.

Profitieren Sie von unentgeltlicher Arbeit von Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden in Form von Empfehlungen für Programmgestaltung oder Talks oder als Pädagog*innen respektive Berater*innen? Welche Formen der Entschädigung wurden bereits berücksichtigt?

Im Sinne eines Austauschs mit Institutionen und Kulturschaffenden profitieren wir auch von unentgeltlicher Arbeit wie z.B. Empfehlungen. Das betrifft jedoch alle Personen.

Im Rahmen der Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin im Aargauer Kunsthaus (2023) hat sich die Kuratorin Dr. Céline Eidenbenz gezielt mit verschiedenen Schwarzen oder PoC Kulturschaffenden bei Workshop-Besuchen oder öffentlichen Tagungen ausgetauscht. Darüber hinausgehende beratende Gespräche und die Arbeit des Advisory Boards wurden entschädigt (Arbeitsaufwand und/oder Spesen) – genauso wie bei anderen Projekten.

Zum Advisory Board gehörten: Mandy Abou Shoak, Sozialpädagogin und Anti-Rassismus-Coach, Zürich; Joshua Amissah, Bildredaktor, Editor, Kurator, Berlin und Zürich; Sasha Huber, Künstlerin, Helsinki; Laura Arminda Kingsley, Künstlerin und Vermittlerin, Dübendorf; Nayansaku Mufwankolo, Beauftragte/r für Inklusion und Lehrbeauftragte/r für Kulturwissenschaft und Kritische Theorie, Haute école d’art et de design (HEAD), Genf.

Installationsansicht Stranger in the Village Rassismus im Spiegel von James Baldwin mit unterschiedlichen Kunstwerken im Aargauer Kunsthaus i
Installationsansicht Stranger in the Village Rassismus im Spiegel von James Baldwin 3.9.2023 – 7.1.2024, Aargauer Kunsthaus Foto: David Aebi, Bern

Fragen zu Personal, Organisationsstruktur und Leitung

Wie viele Schwarze Personen sind in Ihrer Institution angestellt? Wie viele von ihnen sind in kuratorischen Teams, Komitees oder anderen Führungspositionen innerhalb Ihrer Institution? Wie viele von ihnen sind mit unbefristeten Arbeitsverträgen beschäftigt?

Unser Team von fest und befristet angestellten Mitarbeitenden ist bisher nicht durch hohe Diversität geprägt.

Schwarz und PoC ist auch eine Selbstbezeichnung, die nicht von allen akzeptiert oder verwendet wird. Da wir keine Umfrage durchgeführt haben, wie sich unsere Mitarbeitenden identifizieren und wir für Schwarze Personen und PoC in unserem Team nicht sprechen können, ist es uns nicht möglich, genaue Zahlen zu nennen.

Was für politische Positionen haben die einzelnen Mitglieder in ihren Vorständen, Jurys oder anderen Leitungsgremien? Sind sie bezüglich der Lebensrealität Schwarzer Künstler*innen und Kulturschaffender sensibilisiert? Wie viele von ihnen sind Schwarze Personen?

Wir nehmen vorweg: Die politische Zugehörigkeit ist kein Kriterium für die Wahl in Gremien oder Jurys. Über personenbezogene Daten wie bspw. Religionszugehörigkeit oder eine politische Einstellung geben wir als kantonale Institution nicht öffentlich Auskunft.

Die Mitglieder des Vorstands unseres Kunstvereins sind einsehbar in den Jahresberichten des Aargauischen Kunstverein. Dazu gehören auch teilweise Personen des öffentlichen Lebens mit politischer Verantwortung. Stand heute ist in beiden Gremien keine Schwarze oder PoC Person vertreten. Die Mitglieder sind jedoch sensibilisiert, da wir sie bewusst in die Vorbereitung von Ausstellungen, spezifisch von Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin, einbezogen, zu den antirassistischen Teamworkshops und zu einem Spezial-Workshop eingeladen haben. Wir sind bemüht, Jurys vermehrt vielstimmig und divers zu besetzen und auch alle Kunstvereins-Mitglieder für die Thematik von Ausgrenzung und Rassismus zu sensibilisieren.

Gibt es ethischen Richtlinien in ihrer Institution, die Sie darin einschränken, Gelder von privaten Spendern oder Organisationen anzunehmen, die koloniale, rassistische und diskriminierende Praktiken verfolgen und somit der Schwarzen Bevölkerungen direkt oder indirekt Schaden zufügen?

Als eines der Learnings und als Folge der Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin haben wir beschlossen, als kulturelle Institution einen „Code of Conduct“ zu erarbeiten, der auch zu Rassismus Stellung beziehen wird.

Wie stellen Sie sicher, dass Schwarze Angestellte, Künstler*innen und Kulturschaffende den Raum haben, um Diskriminierungen zu äussern, welche sie während ihrer Arbeit in Ihrer Institution erleben? Wie unterstützen sie Schwarze Personen aktiv und lautstark, welche Diskriminierung innerhalb Ihrer Institution erleben und ansprechen? 

Im Rahmen der Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin wurde zum Schutz von Besuchenden und Mitarbeitenden eine E-Mail Adresse eingerichtet, an die man sich mit dem Stichwort „Bewusstsein“ richten konnte. Die Rückmeldungen wurden alle beantwortet und in einigen Fällen auch das persönliche Gespräch gesucht.

Als Vorbereitung auf die Ausstellung Stranger in the Village fanden Anti-Rassismus Workshops für das Team des Kunsthauses, Mitglieder des Kunstvereins und Vertretende der Abteilung Kultur des Departements Bildung, Kultur und Sport statt. In 8 bis 16 Stunden Weiterbildung wurde das Team zur Thematik Rassismus und Diskriminierung sensibilisiert.

Wir alle waren aufgefordert, unserer Privilegien bewusst zu werden, ebenso der Notwendigkeit, Macht und Wort zu teilen. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, von der Gesellschaft benachteiligte Menschen ernst zu nehmen und mit einzubeziehen. Die Rückmeldungen zu den Diversity-Workshops zeigten, dass insbesondere der Austausch zu den Erfahrungen des Empfangs- und Aufsichtsteam des Kunsthauses, zu einem echten Empowerment auf beruflicher, aber auch auf persönlicher Ebene führte.

Dass Sensibilisierung allein nicht genügt, ist uns bewusst. Wünschenswert wäre eine klar definierte Anlaufstelle. Eine solche – für Rassismus und für andere Formen der Diskriminierung – gibt es Stand heute innerhalb der kantonalen Verwaltung noch nicht. Das Aargauer Kunsthaus ist eine Private-public Partnership und die Institution wird vom Kanton Aargau und dem Aargauer Kunstverein getragen.

Ist Ihre Institution oder Organisation jemals des Rassismus beschuldigt worden? Welche Massnahmen treffen Sie, damit sich die Person, die eine Beschwerde äussert, sicher fühlen kann? Wie verhandeln und dokumentieren Sie Beschwerden öffentlich? Welche Formen der Entschädigung leisten Sie in solchen Fällen?

Es gab 2019 eine Kontroverse um ein Werk aus unserer Sammlung von Pascal Danz, das auf dem Mitgliederausweis des Kunstvereins abgebildet wurde. Der Schriftsteller Klaus Merz hatte das kritisiert und der Redaktion der «Aargauer Zeitung» einen offenen Brief an den Vorstand des Aargauischen Kunstvereins und die Direktion des Aargauer Kunsthauses zukommen lassen. Das zeigte exemplarisch, dass Darstellungen ohne Kontextinformationen zu Irritationen führen können. Das Werk von Pascal Danz, der in Zentralafrika aufwuchs, untersucht aus einer kritischen Haltung heraus Objekte des Kolonialismus. In einer öffentlichen Stellungnahme hatte das Aargauer Kunsthaus die Vielschichtigkeit und Komplexität des Werkes 2019 erläutert und gleichwohl die Problematik des fehlenden Kontexts anerkannt. Im Rahmen der Ausstellung Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin wurde der Texteintrag zu diesem Werk in der öffentlichen Sammlung Online überarbeitet und an den Stand der aktuellen Rassismus Diskussion angepasst. Werke erfordern zu jedem Zeitpunkt die Bereitschaft und Sensibilität, neu bewertet und angemessen vermittelt zu werden.

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