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Good Vibes for a Good Life

Augustin Rebetez
Vitamin

Stroboskopisch und überdopaminiert, nur so von Monstern, Herzen und Kreuzen, von altersschwachen Diktatoren sowie cute creepy cats wimmelnd: Die Werke von Augustin Rebetez gehen an einem nicht spurlos vorbei. Man verlässt die Ausstellung Vitamin mit der unbändigen Lust, dumme Dinge zu tun, mit dem Feuer zu spielen, Bierdosen zu zersägen oder Milchkartons mit dem Wagen zu zerquetschen, nur um zu sehen, was daraus wird, um der Störung willen. Denn ganz in der Tradition von Jean Tinguely gibt es bei Augustin Rebetez einen selbstzerstörerischen Willen, der dazu neigt, die rationale und utilitäre Dimension unserer heutigen Gesellschaften ins Lächerliche zu ziehen. Daher bewegt, recycelt, belebt, verwandelt sich alles von Raum zu Raum. Rebetez bastelt, arrangiert sich «mit den zur Verfügung stehenden Mitteln», wie Lévi-Strauss sagte, Materialien werden zweckentfremdet. Und das ist gut so, denn der jurassische Künstler hat sein Haus in ein Ateliermuseum und die Welt in einen Spielplatz verwandelt.

Foto von Installationsansicht der Ausstellung Augustin Rebetez Vitamin i
Installationsansicht Augustin Rebetez. Vitamin 18.2. – 29.5.2023, Aargauer Kunsthaus Aarau Augustin Rebetez, Studio Mistake, 2023 In Zusammenarbeit mit Colin Jeanneret, Stanislas Delarue, Lia Martinelli, Zoé Philipona Foto: ullmann.photography

Im ruhigen Aargauer Kunsthaus hat Augustin Rebetez einen Initiationspfad eingerichtet, der den weissen Wänden des Hauses trotzt und den Bourgeois schockiert: der Raum ist vom Boden bis zur Decke derart übersättigt, dass es von überall her blitzt und brüllt.

Mit ihrer von Geisterbahn- und für das Internet typischer What the Fuck-Ästhetik versteht sich die Ausstellung als Energieschub, der uns einerseits schmeichelt und andererseits fuchst. Als Spiegel der verschiedenen uns durchdringenden Emotionen – von chillen zu feiern, von satanisch bis spirituell – ist das Gesamtwerk des Künstlers eine geballte Mischung aus Humor und Liebe, bevölkert mit Gespenstern und drolligen Vögeln im Ballen’schem Sinn. Aber anders als der Fotograf Roger Ballen, der in den Johannesburger Slums tätig war, um deren latente Mängel aufzudecken, beschwört Rebetez das Sonderbare, um somit den substanziellen Lebensimpuls noch besser freizusetzen.

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Installationsansicht Augustin Rebetez. Vitamin 18.2. – 29.5.2023, Aargauer Kunsthaus Aarau Augustin Rebetez Internal Relations, 2023 In Zusammenarbeit mit Michèle Martin Untitled, 2023 in Zusammenarbeit mit Jeanne Broquet Fotos: ullmann.photography

Alles ist lebendig, verbunden, verknüpft, in einem Netzwerk aus Freundschafts- und Liebesbanden, aber auch aus Verflechtungen und Kettenreaktionen verfangen. Auf halbem Weg entstammt ein in milchigen Tönen gestalteter Raum einer engen Zusammenarbeit mit seiner Mutter, der Kunstmalerin Michèle Martin. Im zentralen Innenhof wurden in Kooperation mit der Glockengiesserei Rüetschi AG in Aarau bronzene Vögel gefertigt, die ihn an die Familie oder die Verbindung zwischen Himmel und Erde erinnern.

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Installationsansicht Augustin Rebetez. Vitamin 18.2. – 29.5.2023, Aargauer Kunsthaus Aarau Augustin Rebetez, THE FAMILY, 2023 Foto: ullmann.photography

In einem anderen Raum ist Rebetez eine Partnerschaft mit marokkanischen Weberinnen von Beni Ourain-Teppichen eingegangen, um das Kunsthandwerk und die Symbolkraft der Geheimschriften zu würdigen. So lässt er die Erinnerung an Ahnen und vergessene Kosmogonien wieder lebendig werden, als wolle er die Aneignung traditioneller Berbermotive durch IKEA abwehren. Zwischen den einzelnen Räumen bilden Teppiche Übergänge oder Schwellen zu einem neuen Universum, während wir von der Dunkelheit in die Helligkeit, vom Getöse in die Stille hinübertreten. Die Erfahrung ist immersiv, total, spirituell und abwechslungsreich. Stellenweise verquer und anderswo «ernst», ahmt sie die Zauberlogik nach und untergräbt sie zugleich.

Denn unsere globalisierte Welt ist in sich kaleidoskopisch, voller Widersprüche, Dummheit und Niedlichkeit, die unsere Aufmerksamkeit sowohl binden als auch verzehren und uns dabei in eine tiefe, zugleich hypnotische und halluzinierte Lethargie versetzen. Ironie und Spott werden nun zu Weggefährten, die das Verhältnis zur Schöpfung und Handlung in einer Art Dostojewski’sche Idiotie revitalisieren, die Risse, Doppelgänger, epileptische Strukturen verherrlicht.

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Installationsansicht Augustin Rebetez. Vitamin 18.2. – 29.5.2023, Aargauer Kunsthaus Aarau Augustin Rebetez, The Black Church, 2023 In Zusammenarbeit mit Leo Regazzoni Foto: ullmann.photography

Und um die Übel zu heilen, errichtet Rebetez mit Léo Regazzoni eine Kapelle «für die Gesundheit der gefährdeten Seelen» oder erteilt seine guten Ratschläge im praktischen Führer, der als Ausstellungskatalog dient. In einem nervösen, punkigen und kindlichen Stil schwärzt er die Seiten mit Zeichenkohle und schmückt sie mit diversen Mantras, aus denen die oder der Einzelne das machen wird, was sie oder er kann. «Practices Vandalism», «Make a table», «Expand the Ritual», «Delete your Data», «After Death Stay a Ghost», «Print Newspapers Fake Money Manifestos and Books»…

Die überbordende, wenn nicht gar irrsinnige Dimension seiner Arbeit ist im Grunde nur das Spiegelbild unserer TikTok-Ära. Rebetez beobachtet ihre Absurdität, ohne zu urteilen. Er manipuliert aber dennoch ihre Diskrepanzen und deckt dabei ihre verborgenen Mechanismen auf. Durch Humor und Satire umgeht er Räderwerk und Bilder, um good vibes for a good life preiszugeben.

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Installationsansicht Augustin Rebetez. Vitamin 18.2. – 29.5.2023, Aargauer Kunsthaus Aarau Augustin Rebetez The Good Life, 2023 Direct colors, 2023 In Zusammenarbeit mit Mélissa Guex Hope is not a future, 2023 Garbage, 2021 Foto: ullmann.photography
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