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Kunst macht zu schaffen

Sammlung 24

Es ist ein Streifzug durch zwanzig Jahre Kunstpräsenz. Es ist ein Nachschlagewerk mit Daten, Titeln und Publikationen zu allen Ausstellungen von 2003 bis 2023. Mit Namensregister und zahlreichen Abbildungen bietet sich das Buch (und sein digitales Gegenwartskunst Double) als Schlüssel an zur Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Vor allem aber ist Mit Gegenwartskunst umgehen ein Versuch, die Aufgaben einer Kunstinstitution aus dem Hier und Jetzt zu reflektieren.

Sammlungspublikation Doppelseite zur Ausstellung Emma Kunz i
Doppelseite aus der Sammlungspublikation, Bildteil Mitte Kosmos Emma Kunz, Eine Visionärin im Dialog mit zeitgenössischer Kunst, Aargauer Kunsthaus, 2.3. -24.5.2021

Man kann das Buch ganz aus seiner Mitte lesen. Eine grosszügig angelegte Bildstrecke führt dort diverse Situationen vom White Cube bis zur Black Box vor, die der Erweiterungsbau von Herzog & de Meuron mit seinem mobilen Wandsystem möglich macht. Eine Bodenarbeit von Adrian Schiess trifft 2003 auf Balthasar Burkhards Alpenpanorama oder auf Malerei von Renée Levi, die sich zu stehenden Rollen aufrichtete. Simuliertes Mauerwerk auf den Fensterscheiben und ein dichter Pflanzenteppich machen das zentrale Atrium unter Regie von Ugo Rondinone 2010 zum Hortus Conclusus. Emma Kunz’ Kompositionen strahlen 2021 um die Wette mit einer Neonarbeit von Mai-Thu Perret. Dass die Installationsansichten randabfallend auf silbriges Papier gedruckt sind, überhöht die Dokumentation: Im Streiflicht fallen Betonboden und Bilderrahmen als metallisierte Flächen ineinander, alle Farbe wird grau bis schwarz. So zeigt Fotografie, dass Architektur und künstlerische Praxis sich laufend durchdringen. Und spricht zugleich vom Erscheinen und Verschwinden – zwei Konstanten im Umgang mit Gegenwartskunst.

In einem historisch-übergeordneten und einem an Praxis und Fallbeispielen orientierten Teil gehen die Texte darauf ein, was das Aargauer Kunsthaus hat und was es tut, um die Langlebigkeit der eigenen Bestände zu sichern und den Ansprüchen an einen dynamischen Ausstellungsbetrieb gerecht zu werden. Das Kunsthaus wird verortet in einer Geschichte der Kunstmuseen: Vom «nationalen» Ort normativen Lernens haben sich diese zum Raum für Experimente und Freizeitgestaltung gewandelt – mit entsprechenden Modellen in der baulichen Gestalt. Gegenwartsnah greifen Ausstellungen auch immer wieder auf ältere Bilder zu, lassen Wahlverwandtschaften mit junger Kunst erkennen oder spüren heutigen Fragestellungen im Schaffen früherer Generationen nach. Was der offizielle Kanon an unheimlichem Witz, ja an «Widersinn» im Schaffen von Künstlerinnen ungesehen beiseiteliess, lädt dazu ein, unseren unter Konventionen zahm gewordenen Blick zu schärfen für inhaltliche und stilistische Risse im vermeintlichen Kontinuum.

1966 erschien ein Band Umgang mit Kunst. Georg Schmidt, Basler Museumsmann und Kunstvermittler, hatte sich in all seinem Reden und Schreiben in der Pflicht gesehen, einer breiten Öffentlichkeit überhaupt Zugang zu Moderne und zur jüngeren Kunst zu erschliessen. Der jetzt aus Aarau vorliegende Titel ist, auch wenn er sich auf Schmidt zurückbesinnt, von einem anderen Geist geprägt. Seit Kunst auf Datenträgern existiert, seit sie ortspezifisch unterschiedliche Formate annehmen kann oder als Notation eine Performance erst vorbereitet, ist ihr «Originalzustand» beweglich geworden und Kunstschaffende auch Partnerinnen und Partner der im Kunsthaus tätigen Equipe. Mit ihr evaluieren sie technologisch neue Präsentationsformen oder bieten Hand für Hängungen, die die ursprüngliche Kunst vielleicht noch nicht vorgesehen hatte. Das Regelwerk musealer Arbeit lässt sich auf Variablen ein. «Umgehen» heisst für alle – Restauratoren und Kuratorinnen, das technische Team, Kunstschaffende und das Haus selbst – beweglich zu bleiben

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Ugo Rondinone (*1964), viertermaineunzehnhundertzweiundneunzig, 1992, Acryl auf Leinwand, 250 x 210 cm Aargauer Kunsthaus / Schenkung Ugo Rondinone © Ugo Rondinone

Mit Gegenwartskunst umgehen ist ein Auszug aus dem Denklabor einer Institution, die – Sammlung und Kunsthalle in einem – ihr Stand- und Spielbein laufend zueinander in Bezug setzen muss. Die Standortbestimmung in Buchform entstand anlässlich des 20jährigen Bestehens seiner neuen Räume und ist gezeichnet von Seriosität und Sorgfaltspflicht. Das ist wertvoll für alle, die sich für Themen des Sammelns und Zeigens (nicht nur) im öffentlich-rechtlichen Auftrag interessieren. Es liefert Material zu einem Verständnis von Museums-Arbeit, die ihren autoritativen Status abstreift und im Austausch und im Ermöglichen seine Stärke findet. Dem konzentrierten Blick nach innen haftet dabei etwas Unanfechtbares an. So verkörpert die Neuerscheinung ganz selbstverständlich und vielleicht ohne Absicht auch den «Sonderstatus von Kunst in der Institution Museum» (S. 21): Kunst macht der Sammlung zu schaffen, sie sprengt in Ausstellungen die Grenzen von Räumen, Disziplinen und manchmal von Budgets. Im fleissigen Beschreiben gewinnen wir Werkzeuge – und sehnen uns zuletzt doch nach Visionen, aus dem Haus nach draussen züngeln.

Man sieht es nicht, aber wenn man’s weiss, ist es schön: Nimm Wind mit nennt Michael Günzburger die Lithografie, deren vergrössertes Raster das Buchcover bestimmt. Das Blatt zeigt einen Bohrkern, fast transparent, mit einer dunklen Spirale in der Mitte: Es ist die runde Treppe im Foyer vom Aargauer Kunsthaus. Und sie liegt quer.

Ein Text von Isabel Zürcher

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