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Was verstehen Sie unter Neutralität?

Modell Neutralität

Rede von Maja Riniker, Präsidentin des Nationalrates, zur Eröffnung der Ausstellung Modell Neutralität im Aargauer Kunsthaus am Freitag, 31.1.2025

 

Foto von Maja Riniker, Nationalratspräsidentin, am Podium bei der Eröffnungsrede der Ausstellung i
Maja Riniker, Nationalratspräsidentin, und Antoine Maillard, Parlamentsweibel

Foto: ullmann.photography

Liebe Kunstinteressierte
Liebes Team des Aargauer Kunsthauses

Was verstehen Sie unter Neutralität? Ist es ein historisches Erbe, ein politisches Konzept oder eine ethische Haltung? Für die Schweiz ist Neutralität all das und noch mehr. Ihre Wurzel reicht tief in die Schweizer Geschichte zurück und prägt bis heute unsere nationale Identität.

Das Neutralitätsrecht besagt, dass sich die Schweiz nicht an militärischen Konflikten anderer Staaten beteiligt. Im Gegensatz dazu passt sich Neutralitätspolitik den neuen Herausforderungen an, sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext.

Mehre Besuchende stehen vor der Globus-Skulptur von Guido Nussbaum i
Vernissage Modell Neutralität
31.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Guido Nussbaum (*1948),
Schweizer Welt 1, 1995
Schweizer Weltglobus, 1998-2008

Foto: ullmann.photography

«Neutral» zu sein ist für mich nicht politische Gleichgültigkeit, sondern eine Verpflichtung. Sie gehört zu meiner Grundhaltung gegenüber der internationalen Gemeinschaft und gegenüber kommenden Generationen. Die Schweizer Neutralität ist kein passives Abseitsstehen. Sie ist ein aktives Bekenntnis zu Dialog, Diplomatie und Völkerrecht. Wer Unrecht in der Welt verurteilt, verletzt nicht das Schweizer Neutralitätsrecht. Das zeigt die Verurteilung des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine durch das Schweizer Parlament.

Foto von zwei Menschen, die in der Ausstellung drei Gemälde ansehen i
Vernissage Modell Neutralität
31.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Felix Stöckle (*1994), Vintage-Tourismusplakate, 2024 - 2025

Foto: ullmann.photography

Unsere Neutralität ist also weit mehr als ein aussenpolitischer Grundsatz. Sie trägt seit der Gründung unseres Bundesstaates vor 177 Jahren erheblich zu seinem Überleben bei. Wir konnten die Unabhängigkeit bewahren und als verlässliche Partnerin für Frieden und Verständigung in der Weltpolitik wirken. Aus schweizerischer Sicht ist die Neutralität eine kluge Interessenwahrung und eine legitime politische Haltung gegenüber den führenden europäischen Staaten.

Aber: In einer Welt der Polarisierung und in der Länder gegen das Völkerrecht und Menschenrechte verstossen, gerät die Schweizer Neutralität immer wieder in die Kritik. Ist sie noch zeitgemäss? Wie viel Neutralität verträgt eine unberechenbare Zeit?

Foto von Besuchenden vor einer Wandzeichnung im Aargauer Kunsthaus i
Vernissage Modell Neutralität
31.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Marc Bauer (*1975), Sphinx, 1931, 1935/1947, 2014

Foto: ullmann.photography

Während die Politik klare Antworten liefern und Verantwortung übernehmen muss, darf Kunst Fragen stellen. Sie muss sie nicht beantworten, sondern kann sie bewusst offenlassen. Kunstschaffende haben die Freiheit, ihre Perspektiven laut und klar, subtil und leise oder auch provokativ auszudrücken. Im letzten knappen Jahr stiess ich im Swiss Institute in New York auf ein Werk, das mich nachdenklich stimmte. Es handelte sich um ein Video des Künstlers Raven Chacon. Unter dem Titel ‘Report, 2015’ schuf er eine Komposition und Partitur für ein Feuerwaffenensemble. Das Werk unterbricht die Stille durch eine Kakophonie von Macht und Widerstand. Und ich fragte mich: Dürfen Waffen Kunst sein? Und das in einer Zeit, in der wir nur allzu gerne von Waffenstillständen lesen würden? Aber Kunst macht Widersprüche sichtbar und öffnet neue Perspektiven.

Darin liegt die Stärke der Neutralitätsausstellung hier im Aargauer Kunsthaus. In unserer demokratischen Gesellschaft benötigen wir solche Räume: Raum für Reflexion, Raum für Kreativität und Raum für offene Diskussionen.

Drei Menschen stehen vor einer Videokunst-Installation im Aargauer Kunsthaus i
Vernissage Modell Neutralität
31.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Kim Da Motta (*2000), How would I walk, had I never seen a woman walk?, 2022

Foto: ullmann.photography

Eine lebendige Kulturlandschaft trägt dazu bei, die Meinungsbildung zu fördern – über die Neutralität hinaus. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns für eine dezentrale und vielseitige Kultur einsetzen – eine Kultur die inspiriert, hinterfragt und verbindet. Deshalb engagiere ich mich auch persönlich für die Kunst und Kultur. Meine Familie und ich sind Mitglied bei den Freunden der Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Für mich ist Kunst ein Anliegen, das mich bereichert und andere Dialoge und aktiver Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog. Denn Kunst bietet nicht nur Räume für die individuelle Kreativität, sondern auch eine Plattform für Verständigung und Austausch.

Modell einer Landschaft mit kleinen Militärspielfiguren in einer Tallandschaft i
Vernissage Modell Neutralität
31.1.2025, Aargauer Kunsthaus

Thomas Hirschhorn (*1957), Wirtschaftslandschaft Davos, 2001

Foto: ullmann.photography

Liebe Mitarbeitende des Aargauer Kunsthauses. Ich danke Ihnen, dass Sie aus anderem Blickwinkel das Thema «Neutralität» für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung wünsche ich viele spannende Eindrücke, Diskussionen und Begegnungen.

Führen wir diesen Dialog – mit Mut, Offenheit und dem festen Glauben an die Stärken unserer Demokratie.

Maja Riniker und Parlamentsweibel Antoine Maillard posieren vor der Globus-Skulptur von Guido Nussbaumer i
Maja Riniker, Nationalratspräsidentin, und Antoine Maillard, Parlamentsweibel mit den Werken
Guido Nussbaum (*1948), Schweizer Weltglobus, 1998-2008 und
Caroline Bachmann (*1963), 58 av. J.-C., 2020

Foto: ullmann.photography
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