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Paul Camenisch, Das Brautpaar (Oblomow und Oljga), 1928
Oil on canvas, 124 x 114 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Martha Camenisch
Copyright: Nachlass Paul Camenisch

Die künstlerischen Anfänge von Paul Camenisch (1893–1970) reichen in die Zeit zurück, als er noch in seinem erlernten Beruf arbeitet – er hatte von 1912 bis 1916 an der ETH Zürich Architektur studiert. Ab 1921 entstehen erste Aquarelle, fantasievoll kolorierte, oft futuristisch anmutende Darstellungen von sich auftürmenden Architekturen, ja teilweise ganzen Wolkenkratzerstädten. Die expressive Farbgebung überträgt Camenisch auch in seine Malerei, mit der er im Sommer 1925 beginnt. In seinen ersten Versuchen wird er von seinem Künstlerfreund Hermann Scherer (1893–1927) angeleitet. Im Tessiner Mendrisiotto entstehen Landschaftsgemälde, die in ihrem überquellenden Reichtum an Farben und Strukturen den frühen Architekturaquarellen in nichts nachstehen. Eine Zäsur in Camenischs künstlerischem Schaffen bewirkt sein Aufenthalt bei Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) in Davos im Juli und August 1926. Die Konfrontation mit dem von ihm bewunderten Kirchner stellt den Malerneuling vor eine grosse Herausforderung; Camenisch steht ganz im Bann des grossen Expressionisten, und es dauert seine Zeit, bis er sich von dessen Einfluss befreien kann. Ein Werk aus dieser Loslösungsphase ist „Das Brautpaar (Oblomow und Oljga)“ (1928). Durch die grelle Farbigkeit und die wellenförmigen Umrisse beginnt sich Camenisch stilistisch von Kirchner zu entfernen.

Auf den ersten Blick mutet das Hochzeitsbild durchaus feierlich an: Das Paar steht in einer saftig grünen Wiese, der Himmel erstrahlt in hellem Blau, der Kopf der Braut wird von blühendem Weiss umkränzt. Sodann fallen die traurigen Gesichter des Paares ins Auge, der lasch in der Hand gehaltene Brautstrauss und vor allem die Tatsache, dass sich die Liebenden nicht berühren. Durch einen schmalen, wellenförmigen Streifen Gras getrennt, scheint dieser Abstand bereits auf die unüberwindbare Distanz zwischen den beiden hinzudeuten. Es bietet sich ein Bild der Trostlosigkeit, das sich vielleicht damit erklären lässt, dass diese Hochzeit nie stattgefunden hat, sondern eine ersehnte geblieben ist. Darauf lassen zumindest die Angaben im Werktitel schliessen: Oblomow und Oljga sind die Protagonisten eines Romans des russischen Schriftstellers Iwan Gontscharow (1812–1891). Darin scheitert Ilja Iljitsch Oblomow an seinem Adelsstand und seinem anfänglichen Reichtum. Aufgrund der materiellen Sicherheit verfällt er der Trägheit und Faulheit. Als er die junge Oljga kennenlernt, scheint sich eine Wendung abzuzeichnen, doch schliesslich gelingt es auch ihr nicht, Oblomow aus seiner Lethargie zu befreien. Die Beziehung zerbricht und die eigentlich von beiden herbeigesehnte Hochzeit wird nicht vollzogen.

Dieses individuelle Schicksal von Oljga und Oblomow macht Camenisch in seiner Darstellung deutlich. Zugleich zeigt er die universelle und urmenschliche Angst vor Einsamkeit auf. Die welligen Umrisslinien lassen das Bild flackern und verleihen ihm eine nervöse und bedrohliche Grundstimmung. Die Unruhe des Gemäldes und des tragischen Paares greift unmittelbar auf die Betrachtenden über.

Bettina Mühlebach

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