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Michael Günzburger, Eisbär (aus der Serie "Tierdrucke"), 2017
Lithographie auf Papier (Rives), Masse gesamter Block 149.4 x 212.3 cm, Druckgrafik
Aargauer Kunsthaus Aarau

Mit dem Eisbären findet 2017 die jahrelange Auseinandersetzung von Michael Günzburger (*1974) mit Tierdrucken ihren Höhepunkt. Seit 2010 sucht der Künstler, dessen frühes Medium die Tuschzeichnung war, nach einer Möglichkeit, die Serie mit dem Abdruck eines Eisbären so abzuschliessen, dass jedes Haar des Fells sichtbar wird. Typisch für Günzburgers serielles Vorgehen, führt ein Versuch zum nächsten, die Zusammenarbeit mit dem Zürcher Steindrucker Thomi Wolfensberger intensiviert sich, ebenso wie unterschiedliche Fragestellungen nach Handwerk, Erkenntnisdokumentation, Performance, Naturalismus oder Tierethik. Der für die Sammlung des Aargauer Kunsthauses erworbene Zyklus beginnt mit dem Fuchsschwanz von 2012, einem verbreiteten und in den 1980er-Jahren leicht erhältlichen Accessoire, das Günzburger aus seiner Jugend noch bestens bekannt sein dürfte. Im Kunstkontext verweist die perfekte Wiedergabe der Härchen, Zotteln und Wirbel des Fells unmissverständlich auf die frühe Neuzeit, insbesondere auf den berühmten aquarellierten Feldhasen von Albrecht Dürer, der immer wieder als Beispiel eines unübertroffenen Naturalismus beigezogen wird.

Es ist jedoch nicht das vermeintliche Versprechen eines objektiven, echten Abbildes, das Günzburger antreibt, sondern seine forschend-reflexive und die ganze Vielschichtigkeit der künstlerischen Produktion umfassende Haltung gegenüber dem Bild, der Kunstgeschichte, den technischen Herausforderungen und dem handwerklichen Wissen, das sich physisch einschreibt. Die Werkstatt von Wolfensberger ist ein Labor, in dem der Künstler mit dem Drucker und seinem Team die lithografische Tradition prozesshaft befragen und erweitern kann. In dieser Auseinandersetzung war der Eisbär, dieses früher bedrohliche und heute bedrohte Tier, für Günzburger ebenso Antrieb wie Forschungsgegenstand. Während Jahren hat er dessen Druck visionär gedacht und minutiös geplant. In der Zwischenzeit druckte, übte und dokumentierte er mit Wolfensberger weiter – mit dem Kalb, dem Wildschwein, dem Luchs. Würde der Eisbär zu schwer auf der beschichteten Platte liegen und würden sich dadurch die Feinheiten der Fellstrukturen verwischen? Müsste eher die Platte auf den Eisbären gelegt werden? Und wie findet man ein Forschungsteam, das auf Spitzbergen einen verhungerten Eisbären ortet, und ein Flugzeug, das Künstler und Drucker dorthin bringt? Das Ende der Spur lautete der Titel der Ausstellung im Hans Erni Museum in Luzern, wo der Zyklus 2020 erstmals vollständig gezeigt wurde. Das bezieht sich auf die Tierspuren generell, auf die zurückbleibenden Zeichen auf dem Papier und natürlich auf die Linie an sich, die Günzburgers künstlerischem Schaffen zugrunde liegt. Mit dem Ende dieser Spur eröffnet sich gleichzeitig ein unbetretenes Feld für Michael Günzburger: Seit 2019 hat er die Fährte der Chimären aufgenommen, um über diese mythologischen Mischwesen neue Aspekte von Wirklichkeit aufzuspüren.

Katharina Ammann

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