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Louis Soutter, Vampire, c'est la guerre, 1939
Tinte, Öl auf Papier auf Karton, 46.2 x 43.7 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Jörg Müller

Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses beherbergt zahlreiche Gemälde und Zeichnungen des Künstlers Louis Soutter (1871–1942), die sein ganzes Schaffen von 1923 bis 1942 abdecken. In der schweizerischen Kunstlandschaft ist Soutter ein Einzelgänger, dessen künstlerisches Hauptwerk vollkommen isoliert während einem zwnzigjährigen Aufenthalt in einem Heim entsteht. Nur wenige erkennen damals die Einzigartigkeit von Soutters Kunst – neben seinem Cousin Le Corbusier (1887–1965) unter anderem der Maler René Auberjonois (1872–1957), die Galeristen Claude und Maxime Vallotton oder der Verleger Henry-Louis Mermod (1891–1962). Erst die vom damaligen Konservator des Lausanner Musée des Beaux-Arts Ernest Manganel (1897–1991) organisierte Retrospektive – eine Wanderausstellung mit Start in Lausanne 1961 – erhebt den Aussenseiter Soutter zwanzig Jahre nach seinem Tod zu einem bedeutenden Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts. Unbestritten ist die hohe Qualität seines intensiven Œuvres, das gleichzeitig aktuell und zeitlos erscheint.

Der in Morges aufgewachsene, vielseitig begabte Soutter beginnt nach abgebrochenen Ingenieur- und Architekturausbildungen 1892 ein Geigenstudium am Konservatorium in Brüssel. Da Soutter aber zwischen Malerei und Musik schwankt, gibt er dieses 1895 auf und studiert Malerei in Lausanne, Genf und Paris. Ab 1897 hält sich Soutter mit Unterbrüchen in den USA auf und kehrt 1904 in einem desolaten geistigen sowie körperlichen Zustand in die Heimat zurück. Ein stetig steigender Schuldenberg und Verhaltensauffälligkeiten veranlassen die Behörden, Soutter unter Vormundschaft zu stellen. Gegen seinen eigenen Willen, aber mit dem Einverständnis seiner Familie wird er in ein Heim im Waadtländer Jura eingewiesen. Dort erst widmet sich der 52-jährige Soutter ausschliesslich dem Zeichnen und erschafft sein gültiges Werk. Manganel unterscheidet drei Perioden in Soutters Œuvre: Den vielfach literarisch inspirierten Zeichnungen in Heften der „Période des cahiers“ (1923–1930) folgt die „Période des dessins maniéristes“ (1930–1937), der sich die mehrheitlich der Figurendarstellung gewidmeten Spätwerke der „Période des planches au doigts“ (1937–1942) anschliessen.

Die vorliegende Arbeit gehört zu Soutters Spätwerk und führt seine dafür typische archaische Figurenwelt vor Augen. Um 1937 verringert sich Soutters Sehkraft, und er leidet an einer Arthrose der Fingergelenke. Seine künstlerische Tätigkeit findet aber keinen Abbruch, sondern Soutter entwickelt eine neue und formal einzigartige Bildsprache: Der Künstler zeichnet direkt mit den Fingern und erreicht in Verbindung mit den reduzierten Bildgegenständen einen äusserst unvermittelten Ausdruck. Wie stark sich Soutter mit aktuellen Geschehnissen auseinandersetzte, lässt sich aufgrund fehlender Hinweise nicht abschätzen. Zum Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges existieren einige Zeichnungen, und das Blatt in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses steht im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg: „Vampire, c’est la guerre“ bildet eine der wenigen datierten Arbeiten aus dieser Zeit. Einer Ahnung gleich, scheint Soutter die Schrecken des Krieges in Gestalt seiner charakteristischen Schattenfiguren mit überlangen Gliedern und übergrossen Händen vorwegzunehmen. Im Gegensatz zu vielen anderen Fingerzeichnungen, in denen die Gestalten in keinen Bildgrund eingebunden sind, füllt Soutter hier fast die ganze Fläche mit leuchtenden Farben. Die Monumentalität der einzelnen Figur erfährt eine Steigerung und lässt die Aussicht auf eine lichtere Zukunft unmöglich erscheinen.

Karoliina Elmer

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