Öl auf Leinwand, 83 x 90 cm
Empfindungen, Gefühle und das Befragen der sichtbaren Wirklichkeit auf ihre geheimnisvoll-unsichtbaren Aspekte stehen im Zentrum von Fritz Paulis (1891–1968) Schaffen. Als wichtiger Vertreter des Schweizer Expressionismus stehen für den Maler weniger die spontane Verwendung von reinen Farben im Vordergrund, als vielmehr die unvermittelte Darstellung innerer Gedankenwelten und subjektiver Regungen. Das beinahe lebensgrosse Porträt des Malers Robert Schürch (1895–1941) geht auf eine Freundschaft von mehreren im Tessin lebenden Schweizer Künstlern zurück, welche eine expressive Bildsprache verfolgen. Zu dieser Gruppe, welche sich um Locarno niedergelassen hat, gehört unter anderem auch Ignaz Epper (1892–1969). Gleichzeitig arbeiten auch die Mitglieder der Gruppe „Rot-Blau“ im Tessin. Diese Maler fühlen sich jedoch eher dem Stil Ernst Ludwig Kirchners (1880–1938) verbunden, welcher sich in einer abstrahierenden und farbenkräftigeren Bildsprache ausdrückt. Das Porträt des Malers Robert Schürch, welches den 39-jährigen Mann auf einem blauen Divan sitzend zeigt, entsteht ebenfalls im Tessin. Der Porträtierte blickt durch seine runden Brillengläsern mit mattem Blick aus dem Bild hinaus und wendet den Betrachtenden sein furchiges Gesicht, welches formell und inhaltlich das Zentrum des Gemäldes bildet, frontal zu. Der Zuschauer wird dadurch eingeladen, in die Gedanken- und Gefühlswelt des Dargestellten einzutreten.
Pauli geht es weniger um das Abbilden von anatomischen Eigenheiten und räumlichen Parametern, als um das Ausdrücken von Empfindungen und inneren Stimmungen. 1933, ein Jahr bevor das Bild entsteht, erleidet Robert Schürch einen schweren Autounfall, von welchem er sich nie mehr ganz erholt. Oft berichtet der Künstler über diese Geschehnisse und die damit verbundenen Angstzustände und Albträume. Im Hintergrund, auf der Wand, sind Figuren angedeutet, welche nur schwer zuzuordnen sind und sogar auf das Sofa überzugehen scheinen – womöglich illustrieren diese Schürchs Paranoia.
Aufgewachsen in bürgerlichen Verhältnissen, arbeitet Fritz Eduard Pauli nach dem Abbruch des Gymnasiums und einer Ausbildung zum Flachmaler zunächst bei einem Fotografen. In dieser Zeit bringt er sich auch die Technik der Radierung bei. Darauf folgt ab 1909 auf Anraten des Künstlers Albert Welti (1862–1912) eine Ausbildung an der Münchner Kunstakademie, ohne jedoch als Student eingeschrieben zu sein. 1914 kehrt Pauli in die Schweiz zurück und bezieht in Zürich ein Atelier. Hier entsteht ein Grossteil seines umfangreichen, druckgrafischen Werkes. Nachdem Pauli vor allem wichtige Impulse von Kirchner, den er 1925/1926 in Davos besucht, verarbeitet, wird seine Palette ab den 1930er-Jahren dunkler und seine Darstellungsweise realistisch. Geheimnisvolle Bildzeichen halten Einzug in seine visuellen Arbeiten- und ein Hang zum Grossformat ist unübersehbar. In der eher konservativen Schweizer Kunstszene der 1930er- und 40er-Jahre avanciert Pauli als modern geltender – jedoch moderat agierender – Expressionist zu den Repräsentanten der offiziellen Schweizer Kunst und erhält verschiedene Aufträge für Monumentalmalereien. 1948 nimmt er an der Biennale di Venezia teil.
Monumentale Auftragsmalereien, etwa für die Landesausstellung 1939, das Antonierhaus in Bern oder das Berner Rathaus, beschäftigen Pauli oft mehrere Jahre lang.
Christian Herren