Gummi und Eisendraht, 183 x 230 x 45 cm
Mit Carmen Perrin (*1953) ist neben Vaclav Pozarek (*1940) in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses eine künstlerische Position vertreten, die bisweilen unter dem Schlagwort des Post Minimal gefasst wird und als solche von der Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Minimalismus der 1960er-Jahre zeugt, welcher in der Schweiz dank wichtiger Ausstellungen früh rezipiert wurde und nicht zuletzt aufgrund der starken Tradition der konkreten Kunst hierzulande auf fruchtbaren Boden fiel. In ihrem skulpturalen und installativen Schaffen verfolgt Perrin die elementaren Fragen der Minimal Art nach Form und Material kontinuierlich seit Beginn der 1980er-Jahre, unbeirrt von der zeitgleichen Erstarkung einer inhaltsbezogenen und gegenständlichen Kunst. Gleichwohl lässt sich ihre Arbeit nicht ausschliesslich auf eine einzige Tendenz reduzieren. Anklänge an die Land Art finden sich in architektonischen Interventionen im urbanen Raum sowie Projekten in freier Natur, die seit Ende der 1980er-Jahre entstehen.
Anhand der 1994 entstandenen Arbeit „Ohne Titel (5-teilig)“ wird Perrins freier Umgang mit dem Erbe der geometrisch-abstrakten und minimalistischen Kunst deutlich. Zwar ist die Arbeit, bestehend aus Gummi und Eisendraht, formal stark reduziert; dennoch steht nicht die äussere Struktur im Vordergrund, sondern vielmehr das den Materialien inhärente Potenzial. Bezeichnenderweise tragen Perrins Werke allesamt keinen Titel und verweigern damit jegliche Referenz auf externe Sachverhalte oder inhaltliche Deutungsmöglichkeiten. Vielmehr interessiert sich die Künstlerin für das spannungsvolle Wechselspiel der Kräfte, das sich in der Interaktion zwischen Künstlerhand und Material auftut. Sie selbst beschreibt ihre Werke als Resultat eines „Handgemenges“, im Zuge dessen die Eigenschaften und Qualitäten der verwendeten Werkstoffe erforscht und herausgefordert werden. Ihre Form erhalten die Objekte beim Experimentieren mit den Kräften der Materialien, wobei diesem Prozess grössere Bedeutung zukommt als der endgültigen Gestalt. Aus der intensiven körperlichen Auseinandersetzung mit dem Material resultieren auch die Dimensionen der Werke, die oftmals Menschengrösse haben und damit auf den Körper und die Bewegungen der Künstlerin Bezug nehmen.
Für ihre Werke wählt Perrin vornehmlich Materialien, die der städtischen industriellen Landschaft entspringen, darunter Gummi, Fiberglas, Stahl, Stein, Beton und Sperrholz. Diesen alltäglichen Materialien trotzt die Künstlerin höchstmögliche Flexibilität und Wandlungsfähigkeit ab und überführt sie in überraschende skulpturale Konstellationen. Erscheinen die fünf Elemente von „Ohne Titel (5-teilig)“ auf den ersten Blick als massive, bauchige Stelen, entpuppen sie sich bei näherer Betrachtung als geschmeidig geschwungene Gummischläuche, die an Eisendraht von der Decke hängen. Zu ambivalenten Gebilden verfremdet, eröffnen die Formen ein weites Assoziationsfeld. Dass die Konstruktion offengelegt wird, tut der Wirkung keinen Abbruch, sondern verstärkt im Gegenteil die rätselhafte physische Präsenz der Elemente im Raum.
Raphaela Reinmann, 2018