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Marianne Engel, Supertree, 2009
Fotografie auf Papier zwischen Acryl, 100 x 100 cm, Fotografie

Marianne Engel (*1972) ist Manor Kunstpreisträgerin 2011 des Kantons Aargau. Seit Jahren hat sie im Rahmen der Jahresausstellung des Aargauer Kunsthauses ihre Werke gezeigt und an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen auf sich aufmerksam gemacht. Engel hat Biochemie studiert und fand über die Fotografie zu einer Auseinandersetzung mit der Natur, die neue Ebenen der Wahrnehmung und subtile Einsichten offen legt. Seit einiger Zeit arbeitet Engel auch installativ, verwendet phosphoreszierende Stoffe und ‚objets trouvés‘. Mit „Supertree“ (2009), „Location 56“ (2008) und „Schleimpilz“ (2006) sind drei Fotoarbeiten in die Sammlung eingegangen, die den Ausgangspunkt und die Essenz von Engels Schaffen exemplarisch zeigen.

Auf langen Spaziergängen und Wanderungen am Tag, aber auch in der Dämmerung und in dunklen Nächten, durchstreift Engel Wälder und Hügel der Region von Hettenschwil, wo sie seit kurzem ein altes Bauernhaus bewohnt. Sie entdeckt, beobachtet und erlebt die Natur dann, wenn diese ungestört von Wanderern, Bikern und der Holzwirtschaft ihre Kraft entfaltet und Einblicke möglich sind in die verborgenen Schichten dieser Welt.

Die Arbeit „Supertree“ zeigt einen kräftigen und knorrigen Buchenstamm mit ausladendem Wurzelgeflecht. Die Äste setzen in niederer Höhe am kräftigen Baumstamm an. Das quadratische Format der Fotografie lässt den kräftigen Ästen keinen Platz. Engel wählte einen Bildausschnitt, der das Wurzelwerk in seiner ganzen Grösse sichtbar macht. Es ist die Zeit der Dämmerung, fahles Licht dringt durch die fein verzweigten Bäume im Hintergrund. Der Baumstamm wird von einer Lichtquelle frontal beleuchtet, die Fotografie ist scharf und die kräftigen Grau- und Grüntöne der Rinde leuchten zart. Sie verleihen dem Superbaum eine surrealistische Präsenz. Dieses inszenierte, natürliche Kleid des Baumes hebt sich klar vom Hintergrund ab, wo zahlreiche, blätterlose Bäume stehen. Sie erscheinen als schwarze Silhouetten und sind – im Vergleich zum „Supertree“ – ohne besondere Eigenschaften, charakterlos und austauschbar.

Es entsteht eine Verunsicherung. Das Objekt, das Engel abbildet – den mächtigen, mit kraftvollen Wurzeln versehenen Baum – ist zugleich Kunst- und Naturobjekt. Der Baum steht genau so in einem Wald oder in einem Park. Er existiert in der Realität. Doch die Isolierung des Baumes mittels externer, nicht im Bild sichtbarer Lichtquellen, entrückt seinen Naturcharakter. Der Betrachter scheint seine physische Präsenz durchdringen zu können.

Die Wurzeln des Baumes, die ihn im Erdreich halten, erscheinen wie überdimensionierte Krallen. In dieser kraftvollen Übertreibung liegt ein weiteres, surrealistisches Moment verborgen. Die Aufnahme von Feuchtigkeit und Nahrung ist zweitrangig. Die Wurzeln werden zu Werkzeugen, zu Tentakeln, welche die Beweglichkeit und Lebendigkeit des Baumes ausdrücken. Engel sucht den Blick in die Dinge, in die Tiefe der Natur. Ähnlichkeiten mit der Bildgestaltung der Romantik sind unübersehbar. Der Baum, der wie ein Lebewesen in die Mitte gerückt wird, steht stellvertretend für die Wünsche, fantastischen Ideen und Hoffnungen des Menschen. Das künstlerische Produkt bei Engel ist jedoch nicht eine lieblich verzauberte Natur, sondern eine Szenerie, die entrückt ist und gespenstisch wirkt. Der Superbaum wird zum Ausdruck unsichtbarer Kräfte. Es sind die Kräfte, die der Natur inne wohnen, die sie antreiben und verursachen, dass der Baum das ist, was er ist: eine machtvolle Erscheinung.

Thomas Schmutz

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