Stahl,
Harmonisch fügt sich das Gemeinschaftswerk des Künstlerpaares Albert Siegenthaler (1938–1984) und Gillian White Siegenthaler (*1939) Das Südtor im Rathausgarten hinter dem Aargauer Kunsthaus ein. Die grosse Stahlplastik entstand 1980 und gehört zum mehrteiligen Monumentalwerk „Paradise Lost“, welches 1980 an der Schweizer Plastikerausstellung in Biel gezeigt und danach wieder demontiert wurde. 1987 war „Das Südtor“ als Teil einer Gedenkausstellung an Albert Siegenthaler im Rathausgarten ausgestellt und wurde danach als Depositum im Park belassen. 2008 konnte „Das Südtor“ aus Mitteln des Lotteriefonds restauriert und angekauft werden.
„Paradise Lost“ setzte sich aus vier Tor-Skulpturen (Nord-, Süd-, West, Osttor), einer Hauptskulptur und mehreren kleineren Elementen zusammen und ist eine der letzten Arbeiten Albert Siegenthalers. Sie bildet einen Höhepunkt seines Schaffens und liefert den Schlüssel zur Arbeitsweise und zum bildnerischen Vokabular des Künstlers. So nimmt Siegenthaler mit dem (Süd)Tor ein Motiv auf, mit dem er sich im Verlaufe seines Lebens immer wieder beschäftigt hatte. Die Möglichkeit des Durchgangs, des Durchblicks aber auch des Übergangs war es, was Siegenthaler am Tor faszinierte. Kennzeichnend für Siegenthaler ist auch die gekonnte Verbindung von einfachen geometrischen mit organischen Formen. Das Südtor wird einerseits von treppenartigen Stufen und andererseits von rhythmisch sich in die Höhe empor bewegenden Elementen dominiert, die gleichsam aus dem Boden heraus zu wachsen scheinen. Das Organische wird durch die Platzierung in der Natur noch verstärkt. So wirkt der rostende Cortenstahl mit den Spuren der Witterung von weitem wie Baumrinde, auf der sich Moos angesetzt hat. Das Wechselspiel zwischen Bewegung und Verharren, welches „Das Südtor“ prägt, ist auch für Gillian White Siegenthaler typisch, die zu den wichtigsten Eisenplastikerinnen der Schweiz zählt und die bis heute an den wichtigsten Skulpturenausstellungen gerngesehener Gast ist. Bis Ende der 1970er-Jahre arbeitet White Siegenthaler hauptsächlich mit Polyester, seit den frühen 1980er-Jahren ist Cortenstahl ihr bevorzugter Werkstoff. Charakteristisch für ihr Schaffen ist ein ausgesprochenes Gefühl für Rhythmus und Verläufe, was am Beispiel des Südtors besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Die Künstlerin beschäftigt sich aber nicht nur mit Gross- und Kleinplastiken, sondern auch mit der Malerei, der Zeichnung und mit Radierungen.
Albert Siegenthaler und Gillian White lernten sich Anfang der 1960er-Jahre in Paris kennen, wo beide an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts (bei René Collomarini (1904–1985) und Ossip Zadkine (1890–1967)) studierten. 1962 heirateten sie und 1966 siedelte das Paar in die Schweiz über. Kurz darauf gewann Gillian White Siegenthaler mit der reliefartigen Polyesterskulptur „Wasserschutzplastik“ ihren ersten Wettbewerb für Kunst im öffentlichen Raum. Ihre erste Metallarbeit schuf sie 1980 zusammen mit ihrem Mann, mit dem sie jahrelang einen fruchtbaren Austausch pflegte, aber auch gemeinsame Projekte realisierte. Siegenthaler experimentierte bereits seit Anfang der 1960er-Jahre mit Metall. Die Plastiken aus dieser Zeit sind meist bunt und die Verwandtschaft zur Pop Art ist unverkennbar. Siegenthaler arbeitete nicht nur mit Stahl, sondern auch mit Holz, Stein, Plexiglas und weiteren Kunststoffen. Die kapellenartigen Skulpturen seines Spätwerks lud er gelegentlich mit astronomischen und mit mythischen Bedeutungen auf.
Irène Zdoroveac-Buffat