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Erich Busslinger, Metamorphosis, 2015/2017
1-Kanal-Video, schwarz-weiss, ohne Ton, , Video/Film
Aargauer Kunsthaus Aarau

Metamorphose [griech.: metamórphosis] die, allg.: Umgestaltung, Verwandlung, von morphe = Gestalt, metá = inmitten, zwischen, nach. So oder ähnlich lauten die Einträge zum Wort Metamorphose in Lexika und Enzyklopädien, oftmals gefolgt von Hinweisen auf die spezifischen Bedeutungen in Mythologie, Biologie und Ästhetik. Erich Busslinger (*1949) wählte den Titel für ein Werk, dem er Fotografien griechischer Plastiken zugrunde legte, die er teilweise selbst in Museen in Griechenland aufgenommen, teilweise über Jahre gesammelt oder in Archiven zusammengetragen hat. Die griechische Diktion des Titels ist also nicht willkürlich, sondern verweist, inhaltlich stimmig, auf den Ursprung des Begriffs in der Antike. Nicht die Darstellung figürlicher Szenen aus der Mythologie, wie sie uns namentlich Ovid überliefert hat, steht jedoch im Fokus, nicht die Verwandlung des Menschen in Dinge, die Hegel als Erniedrigung des Geistigen in die Sphäre der Natur oder gar der unbewegten Materie abtun wird, sondern umgekehrt die Rücküberführung des menschlichen Abbilds – der unbewegten Stein- oder Bronzeplastik – ins Medium der Animation. Aus dem kontinuierlichen Bilderfluss, der damit zur Referenz auf das alles durchwaltende Prinzip der Umbildung wird, tauchen abwechselnd Köpfe, Hände, Füsse, Torsi oder auch Details wie Gewandfalten auf, und einige der sofort wieder entgleitenden Werke sind auch benennbar. So ist gleich in der Anfangseinstellung ein Kouros zu sehen; später folgen unter anderem Ansichten des Wagenlenkers aus Delphi, des Mädchens von Antium und der als Kopie nach Praxiteles geltenden Kapitolinischen Venus oder Venus Pudica. Nicht zufällig zeichnen die Beispiele dabei auch die Entwicklungslinie der Skulptur von der Statik der Archaik über die Ideale der Klassik bis hin zur Dynamik des Hellenismus nach und bezeugen so Busslingers Sicht auf diese Steigerung als eine Art von primärer Bewegung.

Aus der Gegenwart gesehen, wirkt diese Zeit, die den abendländischen Schönheitsbegriff und mithin das gesamte, vom deutschen Archäologen und Kunsttheoretiker Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) in der Spätaufklärung gelegte klassizistische Grundverständnis des Fachs Kunstgeschichte so nachhaltig geprägt hat, aber ewig entrückt. Das sich pausenlos erneuernde Bild übersetzt diese Ferne in eine traumartige Atmosphäre, die nebst dem Zerfliessen der Zeit auch den letztlich ebenso unaufhaltsamen Fortgang der Kunst und ihres Formenkanons mitthematisiert. Inhaltlich geschieht dies etwa mit Anklängen an die von vielfacher Realitätsüberlagerung bestimmten Bildwelten der Surrealisten, formal durch Mitdenken der ebenfalls in den 1920er-Jahren einsetzenden Experimente in Fotografie und Film (Fotogramm, Überblendung, Spiegelung etc.). Zufallsgelenkt und nie abgeschlossen – Busslinger wählte aus Interesse am grafischen Potential der Bildtransformation den Random-Modus – ist der stete Wechsel zwischen figürlichem Fragment und abstraktem Detail als heutige Antwort auf das Prinzip des permanenten Wandels auch in dieser
formal-ästhetischen Hinsicht schlüssig.

Astrid Näff, 2018

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