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Ugo Rondinone, the pure, 2018
Acryl auf Holz, Glasscheibe, 201- 201.5 x 112.7 x 5.7 cm - 6 cm (bei gebogenem Nagel)
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Sammlung Ringier, Schweiz
Fotocredit: Sammlung Ringier

Eines der häufigsten Motive im Schaffen des seit 1998 in New York lebenden Innerschweizers Ugo Rondinone (*1964) sind Fenster. Gleich dutzendfach finden sie sich zum Beispiel ab 2005 unter den Diary-Paintings: Umrisszeichnungen auf nur grob grundierten kleinen Bildträgern mit rückseitig integrierten Realitätsfragmenten in Form von Collagen aus der New York Times. Ebenso häufig sind Fenster Teil der verträumten oder schwermütigen Installationen des Künstlers. So versperrt Rondinone 1991 etwa in seiner Ausstellung „I am a Tree“ im Zürcher Offspace Galerie Walcheturm das tief eingeschnittene Frontfenster mit einer weissen Bretterwand, während er 1995 am selben Ort für „Cry Me a River“ mit einer dunklen Umrandung Distanz zur städtischen Szenerie erzeugt. 1997 gibt er in Rom und Wien den Blick auf die Aussenwelt durch gelbes, magenta- oder cyanfarbenes Acrylglas in Holzverschalungen frei. Parallel beginnt er farbige Folien direkt auf Gebäudefenster aufzubringen.

Ist die Verbindung von Innen und Aussen zunächst also noch gewahrt, so entstehen ab 2002 vor allem Werke mit blinden oder spiegelnden Fenstern. Nicht nur der Einfall von natürlichem Licht und Luft ist damit aufgegeben. Ausgedient hat auch der rahmende Blick auf die Realität. Bildern vergleichbar hängen die Fenster nun als Objekte an der Wand oder auf eigens gestalteten Flächen. Ökonomisch effizient, produziert Rondinone die Fenster nun überdies meist in Serien und nutzt dabei die Möglichkeiten, die das Motiv ihm bietet. Er verändert die Sprossenzahl, variiert die Farben und evoziert wahlweise Tag oder Nacht. Manchmal ersetzt er die Fenster gar durch geschlossene Läden und gibt ihnen hintersinnige Titel wie „get up girl a sun is running the world“ (2006). Alle Werke verbindet, dass sie trotz ihrer bildhaften Hängung jeglichen Illusionismus, wie ihn einst der Humanist Leon Battista Alberti in seinem Traktat über die Malerei mit dem Bild vom Bild als Fenster etablierte, vermeiden. Sie repräsentieren Fenster und sind auch Fenster, obgleich artifizielle. Verwandt sind sie somit eher dem Fensterobjekt „Fresh Widow“ (1920) von Marcel Duchamp: einem verkleinerten Nachbau eines bodenlangen französischen Fensters, dessen Scheiben der Künstler mit „täglich zu polierendem“ schwarzem Leder verdunkeln liess und so sein Nein zum Illusionismus anknüpfend an sein Junggesellenfenster „Das grosse Glas“ (1915–23) mit einer Anspielung auf trauernde junge Kriegswitwen verband.

Auch bei Rondinone sind die opaken, leicht reflektierenden Oberflächen sowie die Werktitel für die Bedeutung konstitutiv. Erstere lassen uns abprallen und konfrontieren uns mit uns selbst. Letztere umreissen mentale Landschaften wie „a snowlike still“ (2003) oder „breathing the water“ (2005), die uns auf ambivalente emotionale Territorien ziehen. Dem allzu Abgründigen wirkt die lyrische Kraft der Sprache entgegen. Zudem kommt bei den Titeln mehrteiliger Werke und Reihen ein konzeptueller Gebrauch der Typografie hinzu, bei dem sich ein Wort in Versalschrift kontinuierlich nach hinten verschiebt und feine Bedeutungsnuancen bewirkt.

Sind die Werkgruppen so gross, dass die Länge des Titels die schrittweise Hervorhebung nicht mehr erlaubt, bedient sich Rondinone semantisch verwandter Begriffe. Genau dies ist der Fall beim vorliegenden Werk „the pure“ (2018), das einer 2014 begonnenen Gruppe von bislang 34 Fenstern angehört. Jedes einzelne dieser Fenster folgt dem gleichen einflügeligen Typ mit zehnfacher Unterteilung und farblich abgesetztem Blendrahmen. Scharniere und Griffe fehlen, was den hermetischen Eindruck noch verstärkt. Kompensierend wirken die leuchtenden Farben, die nach allen Regeln der Kombinatorik zu mehrheitlich fröhlichen Dreiklängen zusammengestellt sind. Wie bei nordischen Häusern, die den Polarnächten und den langen Wintern mit Buntheit trotzen, bleibt aber ein Gefühl von Melancholie. Bei „the pure“ mag für kurze Zeit ein Bild kristalliner Reinheit aufkommen. Mit Begriffen wie „the void“, „the absence“, „the abyss“, „the bleak“, „the deserted“ und „the nil“ feiert die Reihe als Ganzes jedoch variantenreich die Leere, die Ödnis, die Stille und das blanke Nichts.

Astrid Näff, 2021

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