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Annelies Strba, Sonja am Ofen, 1987
s/w Fotografie auf Fotoleinwand, 133 x 105 cm, Fotografie
Aargauer Kunsthaus Aarau

Annelies Štrbas (*1947) fotografisches Schaffen aus den Jahren 1974 bis 1997 wurde 2001 in der Ausstellung „Shades of Time“ im Kunsthaus Zug umfassend präsentiert und gleichzeitig als vorerst abgeschlossen deklariert. Es schöpft in erster Linie aus dem familiären Umfeld der Künstlerin: „Ich kann nur fotografieren, was mich selbst betrifft.“ Über mehr als zwei Jahrzehnte dokumentiert sie den häuslichen Alltag mit ihrem Partner, dem Künstler und Schmuckgestalter Bernhard Schobinger (*1946), sowie den drei Kindern Sonja, Linda und Samuel, deren Entwicklung sich anhand dieses reichen fotografischen Fundus vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter nachverfolgen lässt. Hauptschauplatz der festgehaltenen Szenen ist die Familienwohnung in Richterswil – ein Ort, an dem sich der bescheidene Lebensstil der Familie ablesen lässt. Die Aufnahmen leben von der Ambivalenz zwischen zufälligem Schnappschuss und inszenierter Pose, zwischen technischer Imperfektion und medialem Experiment.

„Sonja am Ofen“ gehört zu den intimsten und gleichzeitig rätselhaftesten Bildern, die Štrba von ihrer Tochter schafft. Einem Malermodell gleich steht die junge Frau mit unbekleidetem Oberkörper in einer Raumecke vor einem Kachelofen. Ihre Hände berühren sich auf Leistenhöhe, die Mimik ist ausdruckslos, der passive Blick direkt in die Kamera gerichtet. Die dunkel bekleideten Beine verschwinden beinahe vor dem ebenfalls dunklen Ofen, fast scheint ihr Oberkörper zu schweben. Die Szene erinnert an Atelieraufnahmen bekannter Maler des 19. und 20. Jahrhunderts. Der angeschnittene Raum um Sonja herum entzieht sich einer eindeutigen Erkennbarkeit. Die nackten, patinierten Wände und die am Boden verstreuten Papiertaschen, Körbe und Kleidungsstücke erzeugen eine karge Atmosphäre, die mit der Sinnlichkeit des jungen Frauenkörpers kontrastiert. Auch der benachbarte Raum, in den der Blick durch die links angeschnittene Türöffnung gleitet, ist verunklärt. Über das gesamte Bild scheint ein Schleier gelegt, der einen verblassten und gleichzeitig verschwommenen Effekt erzeugt. Diese malerische Qualität rührt einerseits von der Fotografie selbst, ist andererseits aber auch der Tatsache geschuldet, dass die ursprünglich kleinformatige Aufnahme erheblich vergrössert und auf eine Leinwand mittleren Formats aufgezogen wurde. Stärker noch als viele andere von Štrbas Familienbildern scheint diese Fotografie dadurch seltsam entrückt – weder Ort noch Zeit oder Alter der Protagonistin gehen ohne Kenntnis der Werkangaben aus ihr hervor. Vielmehr wird hier durch den Einsatz scheinbar antifotografischer Stilmittel wie Unschärfe und fehlendem Kontrast eine Distanz bewirkt, die die Szene ihrer Intimität enthebt. Die Künstlerin gewährt uns nicht ihren mütterlichen Blick auf die Tochter, sondern schafft ein zeit- und ortloses Bild, das scheinbar kein Vorher und Nachher kennt. Es bietet uns eine neue Seherfahrung, die uns zwingt, den Prozess der Wahrnehmung zu entschleunigen und genau hinzuschauen. Dem im konventionellen Sinn perfekten Bild stellt Štrba in einer Geste der Verweigerung ein „fehlerhaftes“ entgegen, in dem sie eine eigene, traumartige Wirklichkeit erschafft.

Raphaela Reinmann

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