Acryl, Öl auf Leinwand, 220 x 140 x 4.1 cm
Giacomo Santiago Rogado (*1979) fordert mit seinen grossformatigen Bildern das Medium der Malerei heraus, indem er die Wahrnehmung hinterfragt. Diese wird durch das Aufbrechen von Fläche und Materialität erzeugt. Er gehört zu der jungen Generation Schweizer Künstler, die sich national wie auch international einem Namen gemacht haben. Nach seinem Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern“ (2002–2005) fokussierte er auf grossflächige abstrakte Malerei mit Versatzstücken figürlicher Malerei. Bereits 2007 wurde er mit dem „Eidgenössischer Preis für Kunst/ Swiss Art Award“ ausgezeichnet und 2013 erhielt er den Anerkennungspreis der Stadt Luzern. 2009 konnte er seine Bilder im Rahmen des „Manor Kunstpreis Zentralschweiz“ im Kunstmuseum Luzern in einer ersten musealen Ausstellung zeigen; es folgten Einzelausstellungen im Helmhaus Zürich (2014) und Kunstmuseum Solothurn (2019). Im Aargauer Kunsthaus werden seine Werke seit 2007 in verschiedenen Sammlungspräsentationen ausgestellt.
Mit dem Bild „Arbust 2“ (2009) lädt uns Rogado einmal mehr zu einer spannenden Auseinandersetzung mit dem Erlebnisraum seiner Bilder ein. Dieses Werk entsteht in einer frühen Phase seiner Malerei, in der er sich der streng abstrakt-geometrischen Form zuwendet. Während dieser Zeit scheint er stetig bestrebt, die Grenzen der Wahrnehmung auszuloten. Er versucht in neue Bereiche vorzustossen, indem er Farbe und Form auf experimentelle Weise komponiert und dadurch verschiedene Formen des Raumes entstehen lässt.
In „Arbust 2“ treffen verschiedene Raumsituationen aufeinander. Die untere Ebene des Bildes wird durch eine Abfolge von hellen und dunklen Streifen gebildet, die in ihrer Tonung von unten nach oben changieren. Während die hellen Streifen den Vordergrund visualisieren, bilden die vertikal von Tiefdunkel- bis Hellgrau changierenden Streifen den Hintergrund ab. Durch den sich von oben nach unten aufhellenden Grauton wird zusätzlich ein Eindruck von Tiefenräumlichkeit erzeugt. Auf diesen räumlichen Grund trifft eine weitere Ebene, die aus farbigen Bändern besteht. Die All-over Malerei der sich kreuzenden und überlagernden Bänder bestimmt die Komposition des Bildes. Im Kontrast zur festen und starren Struktur des Untergrunds bewegen sich die ondulierenden Bänder im Vordergrund. Sie sind ineinander und miteinander zu einem Flechtwerk verwoben. Letztlich spielt der Künstler mit Effekten räumlicher Schichtung, wobei sich die verschiedenen Ebenen in ihrer Raumwirkung gegenseitig ausspielen. Die Ebenen überlagern sich und schliessen sich zugleich aus. Dieses Phänomen ist uns aus der Op-Art bekannt: Eine optische Illusion, die beim Betrachter eine retinale Irritation, sprich eine optische Verwirrung, erzeugt. Seine Arbeit ist ein Erlebnis, ein Abtasten der Leinwand, ein Ausloten der Grenzen der Malerei und ein Spiel mit der Wahrnehmung.
Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei den sich windenden Formen um die Darstellung eines Strauches. „Arbust“ bezeichnet die Wuchsform einer Pflanze, die sich ins Endlose, ins Vielfache verzweigt. Durch die abstrakte Form, also das bewusste Lenken auf das Elementare und die repetitive Ausbreitung, beschreibt Rogado hier das Wachstum und die Wiederholung als ständigen Rhythmus des Lebens. Er malt das Motiv in seiner für ihn typisch präzisen, analytisch strukturierten Malweise. Im Kontrast zu anderen geometrisch-abstrakten Formfindungen Rogados zeigt das vegetabile Motiv eine Naturbeschreibung, deren Abstraktion eine Gegenständlichkeit zugrunde liegt. Im Gegensatz zur Bilderserie „Kompass“ (Inv. Nr. D2805) schlägt er in der später entstandenen Arbeit „Arbust 2“ einen deutlich sanfteren Ton an. Er überwindet die an die Hard-Edge Malerei angelehnte kantig-konturierte, geometrisch abstrakte Phase und findet in der sanften Bewegung mit leichten Formen seinen neuen Modus.
Katja Lenz-Zemp