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Otto Meyer-Amden, Händehochhaltende (Antworten), Detailstudie I, Um 1922
Gouache, Oel auf Papier auf Karton, 18.8 x 29.3 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau und Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern

Otto Meyer-Amden (1885–1933) ist ein Einzelgänger in der Schweizer Kunstgeschichte. Der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, geniesst er in eingeweihten Künstlerkreisen aber schon zu Lebzeiten einen legendären Ruf. Namhafte Fürsprecher findet er in Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), den er 1922 in Zürich trifft, oder im Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer (1888–1943), mit dem er bis zu seinem Tod eng befreundet ist und einen regen Briefwechsel pflegt. Meyer-Amdens Werke leisten einen wesentlichen Beitrag zur frühen abstrakten Kunst in der Schweiz, ohne aber dem Gegenständlichen jemals ganz zu entsagen. Sein Œuvre umfasst nur etwas über 500 Arbeiten, davon viele kleinformatige Zeichnungen in Blei- und Farbstift, Aquarell oder Feder. Die wichtigsten Werke entstehen in Amden oberhalb des Walensees, wo Meyer von 1912 bis 1928 zunächst kurze Zeit in einer Arbeitsgemeinschaft mit Willi Baumeister (1889–1955) und Hermann Huber (1888–1967) und ab 1913 allein und zurückgezogen lebt. In dieser Zeit beginnt man ihn Meyer-Amden zu nennen.

Das Aargauer Kunsthaus besitzt 17 Arbeiten des Künstlers, die eine gute Übersicht über das Schaffen erlauben. Rund die Hälfte der Werke behandeln das Internatsleben, dem sich Meyer-Amden ab 1918 in umfassenden Werkzyklen widmet. Ursprung dieses Bildthemas ist Meyers eigene Kindheit. Als Sohn eines Hufschmieds 1885 in Bern geboren, verliert er im Alter von drei Jahren die Mutter. Er kommt zu einer Pflegefamilie und später in das Internat des Burgerlichen Waisenhauses in Bern. Dieses Sujet gliedert Meyer in Motivkreise, die er vermutlich alle um 1918/19 beginnt und über ein Jahrzehnt, während der ganzen Amdener Zeit, weiterbearbeitet. Die Bildreihen heissen „Schlafsaal“, „Predigt“ (oder „Im Münster“), „Erwartung“, „Impfung“, „Vorbereitung“, „Einkleidung“, „Eintritt in die Klasse“ oder „Händehochhaltende“. Dem letzteren Motivkreis, den Meyer mitunter auch mit „Antworten“ oder „HHH“ bezeichnet, gehört das in Gouache und Öl auf Papier und Karton gemalte Blatt an, das 1996 mit Mitteln der Gottfried Keller-Stiftung für die Kunsthaussammlung erworben wurde. In verhaltener Tonigkeit erkennen wir den Kopf eines Knaben im Profil. Er scheint den Arm aufzustrecken, rosafarben zeichnet sich der Mund ab, bereit auf die Frage des Lehrers zu antworten. Auf der Stirn des Knaben erstrahlt einem Mal gleich eine helle Fläche. Ebenfalls hell erleuchtet ist die aufzeigende Hand. Das Motiv entwickelt sich in dieser „Detailstudie I“ in ausgesprochen malerischer Manier aus einem dunklen Bildgrund heraus, wodurch die Lichtstellen umso deutlicher hervortreten. Carlo Huber deutet in seiner Monografie von 1968 die „Händehochhaltenden“ als Gleichnis für das Pfingstwunder. Das Licht auf der Stirn des Knaben dürfte insofern als Zeichen der Erleuchtung und jenes auf der Hand als Symbol des Bekennens gelesen werden. Die Internatsbilder dienen Meyer denn auch nicht der Aufarbeitung traumatischer Kindheitserlebnisse. Vielmehr erzeugt er in ihnen Sinnbilder, in denen er dem Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft nachspürt. Meyer schreibt diesbezüglich an seinen Freund Schlemmer: „So wie ich die Titel nie mit einem Waisenbegriffe gab, so hat wirklich der Begriff Waise mit meinen Kompositionen nichts zu tun (…) die Form, die Ordnung war zuerst, und deswegen passen viele gleichgerichtete Gleichnisse hinein.“

Yasmin Afschar

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