Öl auf Leinwand, 84 x 67 cm
In aufrechter Haltung wendet der Porträtierte selbstbewusst seinen Kopf über die rechte Schulter uns Betrachtenden zu. Baron Carl August Victor von Broizem (1741–1812) trägt den damals besonders bei Hofe geschätzten gummierten schwarzen Haarbeutel, den sogenannten Crapaud. Gekleidet ist er mit einem roten Justaucorps, der männlichen Hauptoberbekleidung, mit breiten Aufschlägen, Spitzenjabot und Spitzenmanschetten. Im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin befindet sich das als Pendant zum vorliegenden Sammlungswerk angedachte Porträt seiner Ehefrau „Johanna Isabella von Broizem“ (1783).
Der Urheber des Gemäldes, der in Winterthur geborene Anton Graff (1736–1813), gilt als einer der bedeutendsten Porträtisten des 18. Jahrhunderts. Seine Bildauffassung – die Konzentration auf den Menschen und nicht auf seine Standeszugehörigkeit – verschafft ihm bereits zu Lebzeiten viel Anerkennung. Als das wohl bekannteste Bildnis aus der Hand Graffs zählt „Friedrich II. von Preussen“ (um 1781/86, Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg), das zugleich zu den berühmtesten Darstellungen des Herrschers zählt.
Eigentlich sollte Graff in die beruflichen Fussstapfen seines Vaters treten und Zinngiesser werden, darf dann aber in die Zeichenschule Johann Ulrich Schellenbergs (1709–1795) eintreten. 1756 zieht er mit dessen Empfehlungsschreiben zum Radierer Johann Jakob Haid (1704–1767) nach Augsburg. Dort herrscht eine grosse Nachfrage nach guten Porträts, und Graffs Schaffen erfreut sich bald grosser Beliebtheit. Da die ansässige Malerzunft die neue Konkurrenz nicht duldet, verlässt Graff Augsburg und findet im Ansbacher Hofmaler Johann Leonhard Schneider (1716–1768) seinen neuen Meister. Er fertigt mehrheitlich Kopien eines Bildnisses Friedrichs des Grossen und kommt mit Werken bekannter Porträtisten wie Antoine Pesne (1683–1757), Hyacinthe Rigaud (1659–1743), Jan Kupezky (1666–1740) sowie Georges Desmarées (1697–1776) in Kontakt. Durch Nachahmung bekannter Werke kann er seine technischen Fähigkeiten verbessern. Dank der Vermittlung durch Salomon Gessners (1730–1788) Schwager Heinrich Heidegger (1738–1823) erhält Graff 1766 die Stelle als Porträtist und kurfürstlich-sächsischer Hofmaler der neu gegründeten Kunstakademie in Dresden. Abgesehen von ausgedehnten Reisen lebt und arbeitet Graff bis zu seinem Tod dort und erhält zahlreiche Aufträge von Vertreterinnen und Vertretern aus dem Adel, der Diplomatie, der Wissenschaft sowie dem Bürgertums.
Das Ölgemälde „Baron Viktor von Broizem“ zeigt beispielhaft, wie sehr sich Graff auf das Gesicht konzentriert; insbesondere die Augen sind für ihn Zugang zum persönlichen Wesen seines Gegenübers. Lebensgrosse Brustbilder malt er mit Vorliebe. Die für Graff charakteristische Ansicht – die frontale Erfassung des Kopfes und der im Profil angelegte Oberkörper – verleihen dem Porträt eine gewisse Dynamik. Stets verzichtet er auf viel Beiwerk oder Staffage und platziert die Personen vor einem neutralen Hintergrund. Gekonnt geht er mit Licht und Schatten um und leuchtet hauptsächlich das Gesicht aus. Obwohl Graff nicht völlig auf Eleganz und Idealisierung verzichtet, neigt er nicht zu übertriebenen Schmeicheleien, sondern setzt einen gewissen Realismus in der Bildnismalerei durch. Über Äusserlichkeiten hinaus ist der Künstler bestrebt, unabhängig von seinem Stand auch die Persönlichkeit und die Stimmungslage des Dargestellten zu erfassen. Dies scheint ihm zu gelingen, heisst es doch bereits 1779 in einer Rezension des „Teutschen Merkurs“: „Die Welt weiss schon lange, dass Herr Graff einer von den seltenen Bildnismalern ist, die (…) sich des individuellen Charakters eines jeden Gesichtes zu bemächtigen wissen, und dadurch, vorzugsweise, Maler der Seele und des Geistes genannt zu werden verdienen.“
Karoliina Elmer