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Markus Raetz, Chambre de lecture, 2013 - 2015
Eisendraht, Nylonfaden, Haken (Architrav, Bank: Holz), Raum 400 x 815 x 630 cm, Installation
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum aus Privatsammlung, Genf

Zwischen Markus Raetz (1941–2020) und dem Aargauer Kunsthaus besteht eine lange Beziehung: Der einstige Direktor Heiny Widmer (1927 – 1984) erwarb bereits in den 1970er-Jahren eine Gruppe von Papierarbeiten aus der Serie „Im Bereich des Möglichen“ (1976) und widmete dem Künstler 1981 eine erste grosse Einzelausstellung. Über zwanzig Jahre später, 2005, fand im inzwischen erweiterten Haus die umfassende Retrospektive „Nothing Is Lighter Than Light“ statt. Seither wurden einzelne Werke immer auch in thematischen Gruppenausstellungen wie „Ohne Achtsamkeit beachte ich alles“ (2014) oder „Swiss Pop Art“ (2017) gezeigt. Im Verlauf der letzten Jahre konnte am Aargauer Kunsthaus eine substantielle Werkgruppe aufgebaut werden. Mit der Arbeit „Chambre de lecture“ (2013 – 2015) kam nun eine begehbare Installation jüngeren Datums als Depositum aus Privatbesitz hinzu. Diese ergänzt den bisherigen Bestand an Bildtüchern, Objekten und Papierarbeiten auf signifikante Weise.

In einem Raum im Raum hängen 432 aus je einem einzigen Stück Draht geformte stilisierte Profile in zwölf Einheiten an unsichtbaren Fäden von der Decke und umgeben den Betrachter fast vollumfänglich. Jede Einheit besteht aus sechs Fäden, an denen in gleichen Abständen je sechs Profile fixiert sind. Die präzis modellierten Profile unterscheiden sich alle im Ausdruck. Von Zufriedenheit über Neugier bis zu Langeweile ist eine Vielfalt an Emotionen zu erkennen. Wie bei einem Mobile reicht der feinste Windhauch bereits aus, um die filigranen Gebilde in Bewegung zu versetzen. Dabei wandelt sich jeder Gesichtsausdruck jeweils aufs Neue. Die Konturen wirken mal klarer und lesbarer, mal lösen sie sich auf und werden zu beinahe abstrakten Linien im Raum. Auch entstehen immer neue Kombinationen zwischen den einzelnen Elementen. Mal sind die Profile zueinander gerichtet, mal wenden sie sich voneinander ab. In der poetischen Rauminstallation „Chambre de lecture“ erkundet Raetz die Wandelbarkeit eines formlosen Stück Drahts zu einem einfachen Motiv wie einem Profil. Dabei gelingt es ihm, unsere Wahrnehmung zu schärfen und uns zu einem genaueren Hinschauen zu bewegen.

Das menschliche Antlitz nimmt in der künstlerischen Arbeit von Markus Raetz eine zentrale Rolle ein. Bereits seit den 1950er-Jahren erforscht der Künstler seine Darstellungsmöglichkeiten in immer wieder wechselnden Techniken, Materialien und Formaten. Bei „Chambre de lecture“ bog er für die ersten Profile gewöhnliche Kleiderbügel. Den sperrigen Draht, den er anschliessend noch schwärzen musste, ersetzte er bald durch ein nachgiebigeres schwarzes Metall. „Chambre de lecture“ bestätigt damit einmal mehr Raetz‘ Vorliebe für einfache Materialien, denn diese betonen die Verständlichkeit und Zugänglichkeit seines Werks und damit einen Umstand, auf den der Künstler sehr viel Wert legt.

Simona Ciuccio, 2019

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