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Veronika Spierenburg, Heartbeat, Drops, Stem Cells, 2022
12-Kanal-Sound-Installation,
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Philipp Hitz

Eine körper- und raumorientierte Annäherung an die Architektur des Aargauer Kunsthauses stand im Zentrum der Schau, mit der Veronika Spierenburg (*1981) anlässlich ihrer Auszeichnung mit dem Manor Kunstpreis im Frühjahr 2014 das Erdgeschoss des Museums bespielte. Den ebenfalls einbezogenen Innenhof vermass sie bei dieser Gelegenheit mit der Performance „Split Between Two Spaces“, einer minimalistischen Choreographie, vorgetragen von einer sich langsam verschiebenden Menschenwand. Für denselben Ort ist 2022 als Gastbeitrag zur Sammlungsausstellung „Davor. Darin. Danach“ die Arbeit „Heartbeat, Drops, Stem Cells“ entstanden. Obgleich als reine Audiospur konzipiert, zeugt sie von der weiter gestiegenen Bedeutung, die das Thema Körper seither im Schaffen der Künstlerin erlangt hat. Einer der Gründe dafür liegt im Entscheid, die eigene Erkrankung an Multipler Sklerose – einer chronischen Entzündung des zentralen Nervensystems – produktiv in das künstlerische Tun zu integrieren. So hat Veronika Spierenburg ebenfalls 2022 ausgehend von den Erfahrungen rund um ihre Immuntherapie mittels Stammzellentransplantation verschiedene Perspektiven auf die Krankheit zu einem einfühlsamen und ermutigenden Videoessay verschränkt.

Weiss man um diesen persönlichen Antrieb, so schwingt die medizinische Diagnose auch in der Arbeit „Heartbeat, Drops, Stem Cells“ mit, und dies wortwörtlich: Phasenweise, besonders gegen Ende des 18-minütigen Loops, sind die Herztöne der Künstlerin, die sie von einem Kardiologen am Kantonsspital Aarau hat abtasten lassen, deutlich zu hören. Im Vordergrund steht jedoch auch bei „Heartbeat, Drops, Stem Cells“ die für Spierenburgs Werkpraxis schon immer konstitutive Lust am forschenden Umkreisen ihrer Themen und deren interdisziplinäre Realisation. Als Einstieg fungiert dabei die 2001 gemachte Beobachtung des Molekularbiologen und Stammzellenforschers Carlo Ventura, dass Herzstammzellen in Zellkulturen pulsieren. Ventura, Professor an der Universität von Bologna – einer der traditionsreichsten Medizinfakultäten der Welt – zieht daraufhin den Nanotechnologen James Gimzewski ins Vertrauen, der 2004 eine weitere wichtige Erkenntnis vermelden kann: Je nach Befinden, also beispielsweise je nach Temperatur oder molekularen Transmittern, erzeugen Zellen unterschiedliche Vibrationen, die unter anderem als Schallwellen und somit als Töne erfasst werden können. 2011 nimmt Ventura Verbindung auf mit dem afroamerikanischen Jazzmusiker Milford Graves, der bereits seit den 1970er Jahren mit Herzrhythmen experimentiert. Gemeinsam gelingt ihnen in mehreren Schritten der Nachweis, dass selbst adulte Stammzellen sich durch Klangsignaturen beeinflussen und so letztlich neu programmieren lassen. Sono- statt Chemointervention: ein enormes Zukunftsversprechen für die regenerative Medizin.

Inspiriert durch Ventura und Graves, kontaktiert Veronika Spierenburg den Perkussionisten Pierre Favre und spielt mit ihm ihre eigene, künstlerische Version einer Zellmelodie ein. Diese Klangcollage arrangiert sie mit Hilfe des Sounddesigners Jan Godde zu einer 12-Kanal-Installation, die sie so an die Raumsituation des Kunsthaus-Atriums anpasst, dass die Soundcloud Anwesende nicht nur umhüllt, sondern regelrecht umströmt. Das Betreten des Innenhofs in seiner Unbestimmtheit zwischen Innen und Aussen gerät so zur unmittelbaren physischen Erfahrung. Da visuelle Eindrücke weitgehend ausgeschaltet sind, richtet sich alle Aufmerksamkeit auf den Klang. Für einige Minuten erhebt sich zum Beispiel ein fernes, sonores Summen, zeitweise durchbrochen von leisem Prasseln und Klacken. Kurz glaubt man Sprachlaute zu hören. Dann wiederum durchreisst ein heller Gongton den Klangfluss und verwebt sich hallend zu einer dichten, an- und abschwellenden Textur. Analog zum Bild einer Zelle als synchronisierter Verbund tanzender Moleküle, der sich durch äussere Einwirkung neu orchestrieren lässt, entwickeln auch wir dabei in ein klanglich aktiviertes, neu gepoltes Bewusstsein. Wie Graves und Ventura, die fest an den Nutzen der Verbindung von Musik und Wissenschaft glauben, weist uns Veronika Spierenburg mit „Heartbeat, Drops, Stem Cells“ einen Weg zum Vertrauen auf die transdisziplinäre Kraft der Kunst.

Astrid Näff, 2023

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