Öl auf Papier, 145 x 310 cm
Eine Trommel, zwei Kinder und ein Schaf bilden die Hauptelemente der grossformatigen Ölzeichnung +Les enfants+ (2017) von Marc-Antoine Fehr (*1953). Sie sind rasch benannt, erweisen sich aber ebenso rasch als enigmatisch. Gerade diese Rätselhaftigkeit macht viel vom Reiz des Fehr’schen Bildkosmos aus. Wie die Vorliebe des Malers für existenzielle Themen und die endlose Begeisterung für eine Handvoll immer wiederkehrender Motive ist sie ein zentrales Merkmal seiner Kunst.
Zu den schon mehrfach inszenierten Objekten zählt auch die originale Basler Marschtrommel aus Fehrs Besitz, auf deren farblich fein nuanciertes Rund der Blick in „Les enfants“ als erstes fällt. Sie stellt nebst dem Schaf die am weitesten ausgearbeitete Bildpartie dar und ihr Schultergurt suggeriert, dass sie jederzeit in Gebrauch genommen werden kann. Allerdings fehlen die Schlegel, und geheimnisvoll ist auch, wie sie trotz ihrer Übergrösse nahezu schwerelos über dem Boden und
ihrem eigenen Schatten zu schweben scheint.
Links der Trommel kauert ein Mädchen mit Mitra, ein Motiv, das bereits in einigen klerikalen Blättern der 107 premières pensées pour un tableau (2007) eine Vorgeschichte besitzt. Gesicht und Kopfbedeckung der kleinen Päpstin sind schon expressiv angelegt, Hände und Rumpf sind erst angedeutet, ebenso eine Begleitfigur am linken Bildrand. An die rechte Seite des Instruments lehnt als weltlicher Konterpart ein Junge in einem offenen, uniformartigen Mantel. Selbstvergessen raucht er eine Pfeife und seine Pose wirkt trotz der instabilen Stütze entspannt. Unklar bleibt hingegen die Geste, die seine linke Hand direkt vor den Augen des Tiers – also mit pastoralem Unterton – vollführt. Kündet sie von erwachender, aber als sündig abgeurteilter Sexualität? In einer eng verwandten, schon 2016 vollendeten, noch monumentaleren Leinwandversion ist der Junge – zur Silhouette reduziert und in der Trommel gespiegelt – mit expliziterer Geste zu sehen. Zudem ist auch das Mädchen mit nacktem Unterkörper wiedergegeben, was vom gänzlich unschuldigen Sich-Verkleiden ebenfalls wegführt. Hier wie dort stehen die Figuren jedoch nicht in direktem Austausch. Ebensowenig ist dies in einigen Skizzen der Fall, in denen Fehr die beiden unter einem Baum sitzend zeigt. Verbindend wirkt stattdessen in der Leinwandversion und in den Skizzen die magische, durch Zusatzelemente wie eine Eule, ein Luchs, ein gerissenes Lamm oder das Horn eines Einhorns symbolisch noch weiter verrätselte Stimmung. Hier, in der kargeren Papierfassung, liegt die Verbindung einzig im blauen Tuch.
Das unfertig belassene, aus Fehrs Luzerner Soloschau bei Gianni und Flurina Paravicini erworbene Blatt erlaubt es, staunend zu verfolgen, wie auf der leeren Fläche mit nur wenigen, grosszügigen Setzungen Räumlichkeit entsteht. Der Hintergrund scheint ein ebenso ortloses Dunkel vorzubereiten wie das Werk aus dem Vorjahr. Der Vordergrund ist mit Ausnahme einiger Grasbüschel bühnenartig konzipiert – eine von Fehr des öfteren gewählte Lösung, die das Arrangierte, Modellhafte und oft auch Prekäre und Isolierte seiner Figurenstilleben unterstreicht.
Astrid Näff