Öl auf Leinwand, 48 x 65 cm
Nachdem Jean-Frédéric Schnyder (*1945) Ende der 1960er-Jahre ohne künstlerische Ausbildung den Einstieg in die Kunst unternahm, stellte er Objekte her, die von seiner Auseinandersetzung mit der Pop-Art einerseits, mit konzeptuellen Haltungen anderseits zeugten. Damit hatte er frühen Erfolg, er gehörte zur jungen Berner Kunstszene und wurde, mit gerade 24 Jahren, zu Szeemanns legendärer Ausstellung „when attitudes become form“ in der Berner Kunsthalle eingeladen. Nichts deutete in jener Zeit, da Malerei absolut verpönt war, auf einen späteren Maler hin, mit seinen tautologischen und selbstreferentiellen – Schnyder heute: „autistischen“ – Werken lag er im internationalen Trend. Als er aber 1970 zur Ausstellung „Visuelle Denkprozesse“ im Kunstmuseum Luzern eingeladen wurde, sagte er ab: Er weigerte sich, weiterhin konzeptuelle, „autistische“ Werke zu produzieren. 1971 zeigte er, der bis anhin nicht gemalt hatte und auch kaum malen konnte, an der Biennale des Jeunes in Paris drei grossformatige Malereien: ein Stillleben, einen Akt und eine Landschaft (die Landschaft missriet ziemlich, Schnyder zerstörte sie später). In jener konzeptuell geprägten, der Malerei sehr fern stehenden Zeit wurde diese irritierende Provokation konsequent als konzeptuelle Haltung verstanden: Schnyder habe seine letzten Bilder gemalt, las man, er habe sich mit der Herstellung dieser Bilder mit den klassischen Themen der Gattung von der Malerei verabschiedet, diverse Autoren schrieben damals von einer einmaligen und unwiederholbaren Aktion. Das Gegenteil aber war der Fall: Mit diesen Bildern leitete Schnyder seinen Werdegang als Maler, besser vielleicht: als Produzent von Bildern ein. Denn bei der Malerei im engeren Sinne, bei der Peinture, sollte er erst in den 1980er-Jahren anlangen.
In den 1970er-Jahren schuf er viele Objekte, oft in Materialien, die der seriösen Kunst sehr fremd waren, wie Salzteig, Zinnguss oder Keramik, und es entstand ein umfangreiches zeichnerisches Werk, oft auch in Aquarell. 1982 malte Schnyder sein letztes Bild im alten Stil, das heisst, in einem prinzipiell zeichnerischen Stil, dessen Elemente sowohl für seine plastische wie für seine zeichnerische Bildnerei galten und die wichtige Anleihen aus der Bildwelt der Science-Fiction und der Comics ein- und umsetzte. Nun beginnt seine Karriere als Maler, ganz entschlossen: Er kauft sich im Herbst 1982 erstens ein Rennvelo und zweitens eine Staffelei (eine, die man sich auf den Rücken schnallen kann). Er setzt dort an, wo er 1971 kläglich gescheitert war, mit der Landschaft. Die Umgebung von Bern, soweit sie mit dem Velo erreichbar ist, wird sein Barbizon, wobei er sich auch vor städtischen und trivialen Motiven wie „Shoppyland“ oder Ähnlichem nicht scheut. Er malt in diesem und im folgenden Jahr eine umfangreiche, weit über hundert Nummern zählende Reihe von Berner Veduten en plein air, möglichst im Tagesrhythmus und in einer Bildgrösse, die unter diesen Voraussetzungen – ein Bild pro Tag, auf dem Velo transportierbar – praktikabel ist.
Wir organisierten im Aargauer Kunsthaus 1992 eine grosse Ausstellung mit Schnyders Malerei von 1988 bis 1991. Die Ausstellung zeigte, wie weit es der Maler seit seinen ersten Bildern in der klassischen Ölmalerei, also seit den „Berner Veduten“, gebracht hatte. Die Formate wurden zum Teil grösser, die Sujets blieben nicht mehr nur der Landschaft verhaftet und der Maler deklinierte verschiedenste Möglichkeiten der Malerei durch: von naturalistischer über expressive bis zu ungegenständlicher Malerei. Ähnlich wie Fischli/Weiss in ihrem Projekt „Plötzlich diese Übersicht“ gibt es auch bei Schnyder keine Hemmung vor angeblich kitschigen Bildern: Alles scheint ihm würdig, Bild zu werden, den Möglichkeiten, Bilder in Malerei umzusetzen, scheinen keine Grenzen gesetzt, alle Bildsprachen stehen zum Gebrauch bereit.
Heute gehört Schnyder unbestritten zu den wichtigsten Künstlern und Malern, die in den letzten zwanzig Jahren in der Schweiz gewirkt haben. Das Aargauer Kunsthaus besitzt eine Reihe von wichtigen Werken dieses Künstlers, ein Hauptwerk, eine 35-teilige Landschaftsserie von 1990/91, konnte aus der erwähnten Ausstellung mit Hilfe der Schweizerischen Eidgenossenschaft erworben werden. Als letztes Jahr 44 jener „Berner Veduten“, die am Anfang von Schnyders Karriere als Maler stehen und die bereits so aussagekräftig von seiner eigensinnigen künstlerischen Haltung sprechen, dem Aargauischen Kunstverein von einem privaten Sammler geschenkt wurden, gehörte dies zu den schönsten Momenten, die eine Sammlung und die ein Museumsleiter erleben kann. Dem edlen Spender danke ich an dieser Stelle im Namen des Kunstvereins, des Kunsthauses, der Öffentlichkeit, aber auch ganz persönlich sehr herzlich.
Beat Wismer