Computerausdruck, Acryl auf Hartfaserplatte (MDF-Platte grundiert) und Bild-CD, je Tafel 200 x 140 cm
Aldo Walker (1938–2000), ausgebildeter Elektrotechniker und künstlerischer Autodidakt, macht ab Mitte der 1960er-Jahre mit Arbeiten auf sich aufmerksam, die sich nahtlos in die aktuellen Kunstdebatten einfügen. Sein Werkbegriff lässt sich anfangs im Umfeld der Konzeptkunst verorten, doch wird rasch ersichtlich, wie vorrangig dabei die Auffassung des Luzerners von der Kunst als offenes Sprachsystem ist. In Werkgruppen wie den „Gleichungen“ (1970–1971), den „50 Sätzen zur Kunst“ (1972), den „Logotypen“ (1975–1976) und dem „Basler Alphabet“ (1977–1979) zirkelt Walker sein Thema der Interdependenz von Idee, Form und Kommunikation sowie der variablen Werkrezeption auf Seiten des Betrachters immer stärker ein. Von der Zeichnung über Textbilder bis zum Objekt bedient er sich hierfür einer weiten Spanne gestalterischer Mittel und nutzt 1989 im Zürcher Helmhaus mit „Lettre d’images“ sogar das Format einer Einzelausstellung, um sein vielseitig fundiertes Denken zur sprachlichen Natur der Kunst anhand einer bezugsreichen Zusammenstellung von Werken Dritter, Texten und Artefakten unter Schlüsselbegriffen wie Wahrheit, Vernunft, Stimulus und Diskurs zu verdeutlichen.
Walkers Arbeiten sind oft von einem kognitiven Sowohl-als-auch bestimmt. Die Verwirrung, die dies auslöst, ist gewollt und Teil der Methodik. Vorbereitet in einer Vielzahl linearer Fettkreidezeichnungen, die ab den frühen 1980er-Jahren entstehen, findet der Ansatz 1986 neuen Ausdruck in einer Reihe figürlicher Bildtafeln, von denen Walker eine Auswahl an der 42. Biennale di Venezia zeigt. Zwischen Mensch und Tier oszillierend, sind sie weniger dem Prinzip der Metamorphose verbunden, als vielmehr einem richtungslosen, nie zum Abschluss gelangenden Formwandlungsprozess, an den sich – entgegen der geradezu didaktischen Schablonenhaftigkeit der weissen Umrissfiguren auf schwarzem Grund – die entsprechende begriffliche Verunsicherung knüpft. Vom Kunstpublizisten Max Wechsler passend „Die Mehrsinnigkeit der klaren Gestalt“ tituliert, erreicht Walkers Bild-Sprach-Analogie hier zum ersten Mal den Punkt, an dem physische Entitäten systematisch aufgebrochen und zu surreal-fantastischen oder albtraumhaft-grotesken Hybriden neu zusammengefügt werden. Darin spiegelt sich die intensive Beschäftigung des Künstlers mit den sprachkritischen Theorien der Zeit, insbesondere mit der Ablösung des Strukturalismus durch den Poststrukturalismus sowie mit dem Wittgenstein’schen Sprachspiel, das die Inkongruenz von Regelhaftigkeit und Sinnkonstruktion demonstriert.
Ihren Höhepunkt erlangt die im Schaffen der 1980er-Jahre vorformulierte ikonische Replik auf den Linguistic Turn mit dem „Morphosyntaktischen Objekt“. Befreit vom Lehrbetrieb und der Studienleitung des Bereichs Visuelle Gestaltung an der Zürcher Hochschule für Kunst, befasst sich Walker ab 1998 mit diesem magistralen Werk, das zum künstlerischen Vermächtnis wird. Eine erste Auswahl, getroffen aus einer grösseren Zahl von Zeichnungen und zweifarbig umgesetzt, erscheint 1999 als mehrseitiges Inlet im Mai-Heft der Kulturzeitschrift „Du“. Im Spätsommer folgt eine sechsteilige, ebenfalls zweifarbige Museumsfassung, die Walker im Zürcher Helmhaus wandfüllend direkt auf die Flächen zwischen den Fenstern des Hauptsaales anbringen lässt. Diese wiederum wird von einer achtteiligen Reihe begleitet, die in Form eines Falzplakats als Katalog dient. Das Mehrdeutige, formal jedoch Klarlinige der Schautafeln der 1980er-Jahre ist bei all diesen Arbeiten einer kaum mehr erfassbaren Vielfigurigkeit gewichen, zu der bei der Zeitschriften- und Wandversion noch die vibrierende, phänomenologisch instabile Farbigkeit hinzukommt, die obendrein in ihrer motivischen Zuordnung nicht endgültig festgeschrieben ist. Noch weniger greifbar sind die Motive als solche, die einander in stetem Wechsel von Erkennen und Entschwinden sowie in doppelter Bezugnahme auf die Morphologie im biologischen und linguistischen Sinn gleichsam orgiastisch unentwegt neu hervorbringen. Passend zu dieser stets nur momentanen Bedeutungsmanifestation mit ihren engen Parallelen zur Gestalttheorie und dem Konzept der Kontingenz, weist Walker auch die Idee vom originären Kunstwerk zurück. Stattdessen verfügt er, dass dieses ab einem digitalen Master jeweils neu encodiert wird, und nimmt damit Fragen vorweg, die angesichts der fortschreitenden Verflüssigung des Bildes auch jüngeren Künstlern wie Yves Netzhammer (*1970), Student von Walker und Assistent bei der Umsetzung des „Morphosyntaktischen Objekts“, Impulse zum Weiterdenken des Formwandlerischen liefern. Die Aarauer Tafelversion auf MDF, die im Todesjahr Walkers zur Eröffnung des neuen Kunstmuseums Luzern für die Ausstellung „Mixing Memory and Desire“ entsteht, nimmt sich so gesehen ausnehmend klassisch aus.
Astrid Näff