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Giovanni Segantini, Paesaggio alpino / Berglandschaft, 1898 - 1899
Oil on canvas, 51.3 x 90.2 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau und Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern
Copyright: gemeinfrei

Giovanni Segantini (1858–1899) ist zum Zeitpunkt seines frühen Todes eine herausragende Figur der europäischen Kunst. Nach realistischen Anfängen in Mailand und in der Brianza lässt er sich 1886 in Savognin respektive 1894 in Maloja nieder und prägt von dort aus die nachimpressionistischen Entwicklungen massgeblich mit. Trotz geografischer Entfernung zu den Kunstzentren der Zeit ist er aus Zeitschriften und dank seiner Mailänder Kunsthändler Vittore und Alberto Grubicy de Dragon gut informiert. Auch mit anderen Künstlern pflegt er rege Kontakte, insbesondere im nahen Bergell mit Giovanni Giacometti (1868–1933), der seinerseits mit Ferdinand Hodler (1853–1918) und mit Cuno Amiet (1868–1961) in engem Austausch steht. In diesem Umfeld sucht Segantini nach einer Malweise, die es ihm erlaubt, das klare Berglicht, das ihn tief berührt, adäquat wiederzugeben. Seine Lösung nennt er Divisionismus: eine rein koloristische Technik, die ähnlich wie der französische Pointillismus auf dem getrennten Auftrag ungemischter Farbe in feinen, lang gestreckten Pinselstrichen und ihrer optischer Mischung beim Sehakt beruht. Gleichzeitig strebt er auch in seiner Motivwelt, die ab der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre ganz auf den einfachen, naturnahen Alltag der Bergbauern ausgerichtet ist, nach einem unverfälschten Ausdruck. Gipfelnd im Hauptwerk „La vita – La natura – La morte“, dem sogenannten „Alpentriptychon“ (1897–1899, Segantini-Museum, St. Moritz), macht ihn diese Thematisierung der zyklischen Verbundenheit von Natur, Mensch und Tier zu einem Hauptvertreter des Symbolismus und trägt ihm das Prädikat eines Erneuerers der Alpenmalerei ein.

Das 1898 oder 1899 begonnene Spätwerk „Paesaggio alpino“ zeigt viele typische Züge dieser Malerei. Wie das Winterbild des „Alpentriptychons“, jedoch enger gefasst und wie durch ein Fernglas gesehen, öffnet es den Blick von Maloja aus nach Westen auf die Bergkulisse des Val Maroz. Imposant ragt am linken oberen Bildrand die Spitze des Piz Lizun in den Himmel, hinterfangen vom mächtigen Piz Duan. Rechts der Bildmitte, am Ende des Tals, erheben sich als markante Dreiergruppe Gletscherhorn, Piz Predarossa und Piz Mungiroi. Auffallend ist der hohe Horizont, der viel Raum für die verschneite Engadiner Hochebene im Vordergrund schafft. Ein Weg führt in leichtem Bogen zur Geländekante und kreuzt dabei ein gegenüber dem sonst noch sehr lockeren Farbauftrag schon stärker verfestigtes Schneeband. Nebst der Kühnheit des Bildausschnitts, den ein lichterfüllter Abendhimmel beschliesst, ist es just dieser unfertige Zustand, der das Bild besonders macht, denn geradezu exemplarisch gibt er Einblick in Segantinis verdichtende Arbeitsweise auf rotbraunem Grund. Vorderhand nicht zu klären ist dagegen die Frage, ob noch figürliche Hinzufügungen geplant waren. Die in Braun- und Grüntönen angelegte Stelle am rechten Bildrand schliesst solches nicht aus. Reizvoll ist aber auch die These, dass das Bild einen Wendepunkt in der Bildkonzeption des Künstlers weg vom Symbolismus hin zur reinen Landschaftsdarstellung markiert.

In die Sammlung gelangte „Paesaggio alpino“ im Nachgang zu einem 2003 von der Kunstmesse Arco und Pro Helvetia initiierten Gastauftritt der Schweiz in Madrid. Mit dem nicht ganz mühelosen, im Sommer 2004 dank kollektiver Zuwendung jedoch zu glücklichem Abschluss gebrachten Ankauf liess sich das aussergewöhnliche Werk für die Schweizer Öffentlichkeit sichern. Für das Aargauer Kunsthaus stellt es die lang erhoffte, sinnvolle Ergänzung der hochkarätigen Landschaftsbestände dar. Nachgerade zur Strahlkraft der Werkgruppe aus der frühen Moderne mit Hodler, Giacometti und Amiet trägt es wesentlich bei.

Astrid Näff

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