Kunstharzfarbe auf Leinwand, 195 x 195 x 2 cm
Auf der Suche nach einer von jeglichen Zwängen befreiten Kunst wird die Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg zur weltweit vorherrschenden Bildsprache. Nebst der geometrischen bildet sich die expressive Abstraktion heraus, in der sich im spontanen Malvorgang die Farbe in bislang nicht gekanntem Ausmass von der Form befreit. Darauf Bezug nehmend etabliert sich der Begriff „Informel“, der von „art informel“ abgeleitet ist und formlose Kunst bedeutet. Franz Fedier (1922–2005) wird einer ihrer bedeutendsten Vertreter in der Schweiz.
Laut Zeitgenossen ist der in Uri aufgewachsene Fedier, der nach einer Malerlehre u.a. bei Max von Moos an der Kunstgewerbeschule Luzern studiert hat, ein ausgesprochen aufmerksamer Beobachter. Mit grosser Neugierde nimmt er neue künstlerische Impulse auf und entwickelt sie eigenständig weiter. Die Öffnung der Grenzen nach dem Krieg nutzt er sodann für viele Auslandreisen, um sich jeweils vor Ort über die aktuellsten Tendenzen zu informieren. Von der internationalen künstlerischen Produktion und dem neu erwachten Selbstbewusstsein einer jungen Künstlergeneration inspiriert, ist er einer der ersten Schweizer Kunstschaffenden, die den Schritt zur Abstraktion wagen. Als einer der Schweizer Vertreter wird er 1959 an die „documenta II“ nach Kassel eingeladen, wo das „Informel“ als wichtigste Kunstströmung der Nachkriegszeit gefeiert wird.
„Regenbild (Farbautonomie)“ (1959) ist charakteristisch für Fediers Werke der 1950er-Jahre, in denen frei über die Leinwand fliessende Farbverläufe teils wie Craquelés (Risse in Oberflächen von Kunstwerken und Objekten) die gesamte Leinwand überziehen. Im hier vorliegenden Werk kontrastiert auf einem petrolfarbigen Hintergrund ein Schleier aus filigranen, vertikalen Linien mit flächig aufgetragenen Elementen in Weiss. Klare Umrisse weichen triefenden Farbflüssen, wobei ein Dunkel-zu-Hell-Verlauf von links nach rechts zur Bildspannung beiträgt. Bildbestimmend sind dabei keine klar lesbaren Motive, sondern die Autonomie der Farben, die ihr inhärenten Qualitäten wie ihre Konsistenz und ihr Fliessverhalten. Dass es hierbei nicht nur um formelle Lösungen, sondern auch um dahinter liegende Bedeutungen geht, lässt der Bildtitel vermuten. So drängt sich der Regen als gegenständliche Assoziation auf: einerseits im Zusammenhang mit der fliessenden Farbe, andererseits als unabdingbare Komponente für das Erscheinen des Regenbogens und damit der ‚Urgestalt von Farbe‘. Das aufgefächerte Farbspektrum in „Regenbild (Farbautonomie)“ (1959) lässt eine derart symbolische Lesart zumindest nicht gänzlich von der Hand weisen. Franz Fedier selbst betont 1956, dass es ihm in der Abstraktion um deren realistischen und symbolischen Inhalt gehe. Eine Haltung, die er mit anderen im Bereich der expressiven Abstraktion tätigen Kunstschaffenden teilt, von denen viele der Natur, dem Ursprünglichen und gar Spirituellen verbunden sind.
Seine ersten informellen Arbeiten schafft Fedier im Alter von 31 Jahren und legt damit den Grundstein für ein vom „Informel“ geprägtes Frühwerk. Bereits in den 1940er Jahren kommt er erstmals mit dieser Strömung in Berührung, als er sich für Studienzwecke in Paris aufhält, wo er ab 1956 dann auch sechs Jahre lang lebt. Wichtige Impulse erhält Fedier insbesondere auch im Austausch mit Sam Francis (1923–1995), einem der Hauptvertreter des amerikanischen abstrakten Expressionismus, den er ebenfalls in Paris kennenlernt und mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Francis ist dabei weniger Vorbild als Mitstreiter auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache. Bei aller malerischen Freiheit ist Fedier weniger radikal als sein amerikanischer Weggefährte und findet eine eigene Auslegung der expressiven Malerei, in der er dem europäischen Bilddenken verpflichtet bleibt. Kompositorische Anhaltspunkte wie ein klares Oben und Unten oder das Beibehalten verschiedener Bildebenen sind nach wie vor offenkundig.
Das Erforschen der Möglichkeiten von Farbe, das Verhalten von Farbe und Form ist und bleibt ein Ankerpunkt in Fediers lebenslangem, malerisch-abstrakten Diskurs. Auch dann, als er sich 1966 – mit dem Beginn seiner 20 Jahre andauernden Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule Basel – vom „Informel“ abwendet und in Anlehnung an die konturierte „Hard-Edge-Malerei“ und die reduzierte „Minimal Art“ nach neuen Wegen in der Abstraktion sucht.
Nicole Rampa