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Caspar Wolf, Romantische Waldlandschaft mit drei Figuren, die eine Felszunge besteigen, 1769
Öl auf Leinwand, 63 x 53.5 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Koch-Berner-Stiftung
Fotocredit: Brigitt Lattmann

Der im aargauischen Muri geborene Maler Caspar Wolf (1735–1783) zählt heute zu den Pionieren der europäischen Alpenmalerei. Seine Bekanntheit erlangt er durch einen nahezu zweihundert Werke umfassenden Gemäldezyklus, den er im Auftrag des Berner Verlegers und Buchdruckers Abraham Wagner (1734-1782) ausführt. Dieser lässt nach den gemalten Bildern kolorierte Umrissstiche anfertigen, die ab 1776 in verschiedenen Editionen erscheinen. Auf gemeinsamen Exkursionen mit Wagner und dem Theologen und Naturforscher Samuel Wyttenbach (1748–1830) entstehen Wolfs Alpenbilder, die als Erste eine topografisch präzise Sicht aus dem Inneren des Hochgebirges zeigen. Während Wolf auf diesen Touren vor Ort skizziert, gehen Wagner und Wyttenbach naturwissenschaftlichen Forschungen nach, die vor dem Hintergrund der aufklärerischen Wissenschaftsbegeisterung gesehen werden müssen.

Dieser vorausgegangen ist eine wahre Alpenbegeisterung, die durch das 1732 erschienene Gedicht „Die Alpen“ des Berner Dichters und Universalgelehrten Albrecht von Haller (1708–1777) ausgelöst wurde. Das Gebirge wird darin zum idealen Schauplatz für die Darstellung der Natürlichkeit einfacher Alpenbewohner; es wird als glückliches Arkadien angesehen, das als Gegenwelt zu der von Menschen geformten Kulturlandschaft figuriert. Caspar Wolf wird der Erste sein, der tief in die ursprünglich als lebensfeindlich empfundene Alpenwelt vordringt und deren Darstellung zum Hauptmotiv seiner Werke macht.

Der Maler, der im Umfeld des nach der Gegenreformation zu Prosperität gelangten Benediktinerklosters in Muri aufwächst, lässt sich in Konstanz, dann in Augsburg und München, den Zentren der süddeutschen Rokokokunst, zum Tafel- und Dekorationsmaler ausbilden. Nach seinen Gesellenjahren kehrt er 1760 in die Schweiz zurück, zunächst ins aargauische Freiamt. Dort führt er hauptsächlich für die Fürstabtei Muri verschiedene Dekorations-, Ofen- und Tapetenmalereien aus. Nach einer Verschlechterung der Auftragslage wendet er sich von der Dekorationsmalerei ab und widmet sich vermehrt der freien Landschaftsmalerei.
Im Zuge dieser Umorientierung reist Wolf nach Basel, in der Hoffnung, dort Liebhaber und Käufer für seine Bilder zu finden.

Das Gemälde „Romantische Waldlandschaft mit drei Figuren, die eine Felszunge besteigen“ und sein Gegenstück „Romantische Waldlandschaft mit Liebespaar auf einer Felsbank“, beide 1769 gemalt, sind während dieses knapp einjährigen Aufenthaltes in Basel vermutlich auf Bestellung entstanden. Ihr Besitzer war Martin Bachofen-Heitz zum Rollerhof(1727–1812), ein Sammler mit einer Vorliebe für zeitgenössische Kunst. In seiner Sammlung lernt Caspar Wolf unter anderem Werke des damals hoch geschätzten Landschaftsmalers Philippe Jacques Loutherbourg (1740–1812) kennen, in dessen Pariser Atelier er in der Folge Aufnahme findet. Nach Wolfs Rückkehr in die Schweiz 1771 wird der erwähnte Verleger Abraham Wagner auf ihn aufmerksam und erteilt ihm den Auftrag für den Alpenzyklus.

Die beiden Waldlandschaften zeugen ganz von Wolfs Auseinandersetzung mit dem süddeutschen Rokoko und zeigen noch keine Einflüsse der französischen Malerei, mit der Wolf durch Loutherbourg in Berührung kommt. Mit Hilfe eines konventionellen Kompositionsschemas baut der Künstler eine gängige Ideallandschaft auf. Diese seit der Barockzeit entwickelte Darstellungsform basiert auf Naturstudien, vorzugsweise aus der römischen Campagna oder von ihr inspiriert, die im Atelier nach einem vorgegebenen Schema zusammengefügt werden. Dessen Auslegung lässt jedoch unzählige Variationen zu.

Die in unserem Bildpaar angewandten Schemata sind folgende: Die Bildebene wird gestaffelt von der Kühle und Heimlichkeit der Nähe, zu sonniger und lichterfüllter Ferne. Oft wird der Vordergrund von einem Fluss durchströmt, der in die Tiefe des Bildes führt. Auf der einen Seite erhebt sich – meist bis an den oberen Bildrand reichend – ein einzelner Baum oder eine Baumgruppe, auf der gegenüberliegenden Seite ist eine zweite, etwas weiter nach hinten gerückte Baumgruppe dargestellt. In ihrer Nachbarschaft erhebt sich häufig eine kleine Anhöhe mit einem architektonischen Element, in den beiden Gemälden des Aargauer Kunsthauses ist dies ein romantisch anmutendes Bauerngehöft. In der Mitte öffnet sich der Blick oft auf eine ferne Ebene mit einem mäandrierenden Flusslauf oder einer niedrigen Hügelkette. Des Weiteren beleben Staffagefiguren im Vordergrund die Ideallandschaft. Bei den beiden Gemälden Caspar Wolfs sind dies einerseits drei Männer, der vordere gestikulierend und vermutlich auf den Vogel in der Baumkrone zeigend, andererseits ein Liebespaar auf einem besonnten Felsen im Mittelgrund. Die Frau zieht wohl eben wieder ihre Bluse an. Die Staffagefiguren haben unter anderem die Funktion, die Tiefenabstände zu steigern, die in den Waldlandschaften die differenziert abgestufte Luftperspektive unterstützen. In den auf solche Art arrangierten Frühwerken Wolfs ist die Lichtführung inszeniert und entspricht nicht realen Begebenheiten. Noch hatten die Landschaftsmaler des Barock und des Rokoko nicht die Absicht, die Natur realistisch abzubilden, sondern strebten eine idealisierte Wiedergabe an. Die auf diese Weise komponierten arkadischen Gefilde sollten das Idyllische des Goldenen Zeitalters vor Augen führen, was Wolf in beiden romantischen Waldlandschaften virtuos gelingt.

Das Zeitgemässe an den beiden Gemälden zeigt sich in der ornamentalen Verspieltheit des Rokoko: Wolf setzt für die Darstellung der malerisch-wilden Natur zierlich gewundene, rankenförmige Linien ein. Vereinzelt können in Felsformationen und Wurzelwerk Rocailleformen ausgemacht werden. Der Maler hat eine Vorliebe für bizarre Gesteinsformationen, knorrige Eichbäume und zerzauste Wettertannen, die auch in seinen späteren Gemälden oft vorkommen.
Mit den romantischen Ideallandschaften ist Wolf zu Lebzeiten erfolgreicher als mit den nachfolgend entstehenden, realistischen Alpenbildern, die bei seinen Zeitgenossen auf wenig Verständnis stossen – umgekehrt zur Gegenwart, in der hauptsächlich die Bergbilder rezipiert werden.

Caspar Wolf bildet in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses einen Schwerpunkt. Mit dem Erwerb dieser beiden Gemälde können wir die Werkgruppe des aus dem Aargau stammenden Malers, der bis anhin ausschliesslich mit seinen Bildern aus dem Hochgebirge vertreten war, um zwei wichtige Werke aus seiner frühen Schaffenszeit erweitern.

Corinne Sotzek

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