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João Maria Gusmão Pedro Paiva, Camera test (vanishing cabbage), 2016
Impossible-Farbfilm für Polaroid-Sofortbildkamera, 25.4 x 20.3 cm, Fotografie
Aargauer Kunsthaus Aarau

In „Camera test (vanishing cabbage)“ identifizieren wir die Aufnahme des heimischen Gemüses mit kraus grünen Blättern als Sofortbild, deutlich erkennbar an der silbernen Einfassung und der rosa Lasche. Der Werktitel scheint deckungsgleich mit dem, was wir sehen. Und doch verbirgt sich hinter dem Abbild eines Kohls weit mehr, als der nüchterne Titel vorgibt.

Mit Vorliebe hält das portugiesische Duo João Maria Gusmão (*1979) und Pedro Paiva (*1977) in ihren Filmen, Fotografien, Skulpturen sowie Camera-obscura-Installationen die magischen Momente des Alltags fest. Nicht von ungefähr bezeichnen sie ihre Kunst als „erholsame Metaphysik“. In ihren Werken vereinen sich philosophische wie anthropologische Überlegungen und wissenschaftliche Experimente mit Bezügen zur Kunst- und Kulturgeschichte. Jede Schwere theoretischer Diskurse liegt ihnen dabei aber fern. Im Gegenteil, in ihrer Arbeit untersuchen die seit 2011 zusammenarbeitenden Künstler unser Verhältnis zur Realität, um dieses mit analytischer Präzision und feinsinnigem Humor kurzum auf den Kopf zu stellen.

Dabei präsentieren sie ihre Abbilder der Natur und unserer hochtechnisierten Welt vorzugsweise mit analogen Medien wie dem 16-mm-Film oder der Sofortbildfotografie. Letztere, 1947 in Amerika erfunden, wurde unter dem Markennamen Polaroid zum bevorzugten Medium von Amateuren und Kunstschaffenden gleichermassen. Sie war als „mini-factory“, wie es Andy Warhol (1928–1987) bewundernd ausdrückte, Inbegriff einer metamorphischen Maschine, die einen flüchtigen Moment innerhalb von wenigen Sekunden in einem chemischen Prozess quadratisch auf Fotopapier bannte und weiss gerahmt ausspuckte. Naheliegend, dass Gusmão und Paiva diese Faszination aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts teilen. Die Edition ist ebenso Hommage wie Reminiszenz an die Jahrzehnte vor der Digitalisierung, als die Pictures-in-a-Minute als Testbildverfahren Fotografinnen und Fotografen sowie Filmemacherinnen und Filmemachern ein unmittelbar „vergleichendes Sehen“ an Ort und Stelle ermöglichten. Aber ebenso bedeutsam scheint, dass die Instantfotografie mit ihrer ureigenen Bildästhetik die Welt geradezu „poetisiert“. Die Mischung aus diffuser Farbigkeit, fehlender Tiefenschärfe und veränderten Lichtverhältnissen verschiebt das dokumentarische Abbild der Realität in die Nähe des Fantastischen. Und strahlt nicht jedes Instantbild die faszinierende Aura des Schnell-Billigen gepaart mit der Einzigartigkeit des Unikats aus?

So repräsentiert das in klassischer Stilllebemanier sorgsam arrangierte, welkende Gemüse vor blau-gelblichem Hintergrund nicht mehr oder weniger als das, was es ist: ein banaler Kohlkopf, ohne jegliche kunsthistorisch tradierte Symbolkraft, wie sie etwa Apfel oder Feige aufweisen. Und doch ist dem Werk eine doppelte Zeitlichkeit eingeschrieben – wie das vergängliche Motiv im Bild ist auch der lichtsensible Bildträger nicht für die Ewigkeit bestimmt und wird mit den Jahren unaufhaltsam verblassen.
Die zehnteilige Edition „Camera test (vanishing cabbage)“ entstand im Rahmen von João Maria Gusmãos und Pedro Paivas erster umfassender Schweizer Ausstellung „The Sleeping Eskimo“ im Aargauer Kunsthaus 2016.

Katrin Weilenmann

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