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Walter Arnold Steffen, 1000 Engel, 1964
Oil on canvas, 227 x 146 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau

Als der gebürtige Berner Walter Arnold Steffen (1924–1982) in den 1950er-Jahren zu malen beginnt, entstehen Einzel- und Selbstporträts, zumeist mit ovalen, langen Kopfformen, hervortretenden Augen und grossen Nasen. Diese führen zu schwarmgleichen Figurenbildern mit häufig sakralem Charakter. Die symbolhaltigen Heiligendarstellungen zeugen von seiner Suche nach Gott. Als Bildgrund verwendet er Pavatex, Karton und Stofffetzen. Aus Autowerkstätten bezieht er bunte Nitrolacke. Seine eigene Jugend beschreibt Steffen als schwer: an Bauern verdingt, als Zögling ins Erziehungsheim gesteckt, belasten ihn zeitlebens Geld- und Alkoholprobleme. Es folgen Aufenthalte in den psychiatrischen Kliniken Waldau, Rheinau, Münsingen und der Universitätsklinik Zürich. Künstlerisch kreiert Steffen ein differenziertes Werk, in welchem konzentrierte Formgebung und wilder Malduktus korrelieren. In den 1960er- und 1970er-Jahren erhält er dank einzelner Ausstellungen und eines Studienbeitrags der Stadt Zürich öffentliche Würdigung.

1964 entsteht das Ölgemälde „1000 Engel“. Der dicke Farbauftrag und die Grösse der Leinwand verleihen dem Bild eine geradezu körperliche Präsenz. Am oberen Bildrand lässt sich das Antlitz von Christus, am unteren das von Maria erkennen. Steffen wählt dafür den für ihn typischen, nahezu karikaturistischen Gesichtstypus. Umgeben werden die beiden Figuren von einem Schwarm schwebender Gesichter, bei denen es sich – wie der Titel vermuten lässt – um Engel handelt. In der Mitte lässt sich schwach ein in die Farbmasse eingekerbtes Kruzifix erkennen. Maria wird von vier Tauben, einem bunt gesprenkelten Vogel und einer roten Sonne begleitet. Steffen bricht hier humorvoll mit der christlichen Ikonografie, welche die Taube als Symbol für den heiligen Geist nur einmal pro Bild vorsieht. Nach unten abgeschlossen wird das Werk von einer ornamentalen Bordüre. Ähnlich wie in der Kirche der Lettner die Laien vom Chor abtrennt, hält die Bildschranke die Betrachtenden zum vermeintlich Göttlichen auf Distanz. Angekauft wird das Gemälde 1977 anlässlich der Gruppenausstellung „Outside“. Der damalige Direktor Heiny Widmer zeigt ein sensibles Gespür für die sogenannte „Outsider-Art“ (Aussenseiterkunst). Gemeint ist eine Kunst, die häufig an den Rändern des Kunstbetriebs, unbeeinflusst von zeitgenössischen Kunstströmungen und ästhetischen Konventionen entsteht.

Der durch Kunsthistoriker Roger Cardinal (1922–2019) um 1972 geprägte Begriff „Outsider Art“ steht dem Begriff der „Art Brut“ nahe, der wiederum auf den französischen Künstler und Sammler Jean Dubuffet (1901–1985) zurückgeht. Dieser versuchte begrifflich eine „rohe, ungeschliffene Kunst“ zu umreissen, die als Ventil für innere Impulse, Gefühle und Erfahrungen dient und ebenso befreit und ungestüm, wie auch präzise und detailversessen zum Ausdruck kommen kann. Diese autodidaktisch und intuitiv gewachsenen Kunstformen entdeckt Dubuffet in den 1920er-Jahren in Museen, häufiger aber in intimen Räumen und abgeschiedenen Institutionen wie Krankenhäusern, Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken.

Aufgrund seiner Biografie, vor allem aber seiner eigenständigen Malerei wegen wird Steffen häufig in der Ecke der Outsider-Art und Art Brut verortet. So ist denn auch seine Arbeit „1000 Engel“ 2019 in der Ausstellung „Collection de l’Art Brut. Kunst im Verborgenen“ zusammen mit hängenden Packpapier-Werken der Lausanner Art Brut Künstlerin Aloïse Corbaz (1886–1964) zu sehen. Verbindende Aspekte sind die erzählerische Emblematik sowie die ausdrucksstarke und zugleich introvertiert versonnene Schilderung der Figuren.

Julia Schallberger

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