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Rosina Kuhn, Immer Krieg, 1969
Collage, Tusche und Aquarell auf Papier, 54.5 x 81.5 cm, Collage/Décollage
Aargauer Kunsthaus Aarau

Rosina Kuhn (*1940) war Mitte Zwanzig, als sie 1965 auf dem Weg nach Mexiko, wo sie und ihr Mann die nächsten Jahre verbringen sollten, erstmals in die quirlige Atmosphäre der Kunstkapitale New York eintauchte. Beim Galeristen Leo Castelli sah sie Pop Art; vom Besuch des MoMA behielt sie unter anderem die Collagen von Robert Rauschenberg (1925–2008) in Erinnerung, ein Eindruck, an den sie später anknüpfen konnte. Auf die elektrisierende Kunsterfahrung folgte der politische Schock: In Mexiko machte die repressive Regimepolitik Schlagzeilen, in den USA das Civil Rights Movement und die Welle der Anti-Vietnam-Proteste, in Europa der Mai 68. Bald war die Jugend rund um den Globus mobilisiert.

Zurück in Zürich begann Kuhn das Zeitgeschehen ab 1968 in einer Reihe von Collagen zu verarbeiten, von denen sie einige – etwa das Blatt “Lust“, das als Vorlage für “Volupté“ diente – auch in grossformatige Ölbilder übertrug. Die in den Jahren des Aufschwungs exponentiell gestiegene Anzahl von Zeitschriften und ihr stetig dichter gewordener Bildanteil sorgten für nie versiegendes Bildmaterial. Nur schon die Schweizer Presse zählte Mitte der 1960er-Jahre rund neunzig Hefte mit einer Auflage von total 4,6 Millionen Exemplaren; hinzu kamen ausländische Nachrichtenjournale wie das Time Magazine, Life oder Paris Match, die zum Teil explizit auf die aufwühlende Wirkung der Bilder bauten und damit, wie die Devise des letztgenannten Blattes “Le poids des mots, le choc des photos“ zeigt, auch unverblümt warben. Gross war auch die Bandbreite der Sujets, die Kuhn herausgriff, angefangen bei den bereits erwähnten Leitthemen der Zeit über einschneidende Einzelereignisse wie die Mondlandung und die Kennedy-Attentate bis hin zum Kampf für die sexuelle Befreiung der Frau. All diese Themen fanden nicht selten auf ein- und demselben Blatt zusammen, getreu der Auffassung der Künstlerin, dass auch das Denken nie linear verläuft, sondern von stets neuen Bezügen zu anderen Gedankensträngen lebt.

Verglichen mit diesen inhaltsoffenen Collagen erweist sich das Blatt Immer Krieg als sehr kohärente und übersichtliche Komposition. Drei Seiten mit Fotos von Kampfhandlungen bilden – akzentuiert und verbunden durch Handkolorierungen in Rot, Blau und Gelb – ein szenisches Panorama, das in seiner Dynamik fast schon filmisch wirkt. Die auf Französisch verfasste Legende nennt als Ort des Geschehens den Friedhof von Hoai Chau, wo sich US-Truppen – im Hintergrund des Mittelteils zu sehen – vor dem Kugelhagel der Vietkong in Helikopter zu retten versuchen, während sie gleichzeitig vom irrtümlich eröffneten Kreuzfeuer befreundeter südvietnamesischer Einheiten niedergemäht werden. Die Aufnahmen wurden am 31. Januar 1966 gemacht und stammen von niemand geringerem als Eddie Adams (1933–2004), der die Gefechte im Auftrag der Bildagentur Associated Press festhielt. Adams überlebte und sollte fast auf den Tag genau zwei Jahre später sein bekanntestes, mit dem World Press Award und dem Pulitzer Preis bedachtes Foto aufnehmen: die in Saigon auf offener Strasse vollzogene Hinrichtung des Vietkong-Guerilla Nguyễn Văn Lém (1934–1968) durch den südvietnamesischen Polizeikommandanten Nguyễn Ngọc Loan (1931–1998).

Astrid Näff, 2018

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