Silbergelatineabzug auf Barytpapier, handkoloriert, je 32.4 x 28.2 cm
Als Leben in einer Kalenderblatt-Idylle hat Barbara Davatz (*1944) die Zeit einmal beschrieben, die sie als junge Frau im Appenzell verbrachte. Sattgrüne Hügel, von Geranien gerahmte Fensterblicke ins Säntis-Massiv und immerzu Kuhglockengeläut – der Kontrast zwischen ihrer Jugend in einem Vorort von New York und der neuen, temporären Heimat hätte grösser nicht sein können. Den Kulturschock überwand die damals 19-Jährige, indem sie zuerst den Vorkurs in Basel und dann die Fotofachklasse an der Schule für Gestaltung in Zürich absolvierte. Für die nächsten Jahrzehnte sollte Zürich auch ihr Wohn- und Arbeitsort bleiben. Zuvor kehrte sie aber kurzzeitig nochmals in die Ostschweiz zurück und realisierte 1968 als ihre erste freie Arbeit die „Souvenirs aus dem Appenzell“.
Die 13-teilige Bildstrecke umreisst die voralpine Welt, wie sie bis heute teilweise fortbesteht und durch Brauchtum weiter gepflegt wird. Mit einem starken Teleobjektiv, sprich mit geringer perspektivischer Tiefe fotografiert, umfasst sie Motive wie eine Schweizerfahne, Wolken, Bauernhäuser, baumbestandene Anhöhen und Tiere. Den Inhalten gemäss dominieren Querformate. Das einzige Hochformat der Serie ist zugleich das einzige Bild eines Menschen und zeigt einen Sennen in seiner ebenso kultigen wie ikonischen Appenzeller Festtagstracht. Beides, Landschaft wie Menschen, fing Davatz also in ortstypischen Sujets ein – in Klischees. Diese inhaltliche Zuspitzung überhöhte sie noch zusätzlich, indem sie die Schwarzweissabzüge nach alter Manier von Hand mit Eiweisslasurfarben kolorierte. Die knalligen Farben, die sie wählte, und deren flächige Verteilung resultierten in einer plakativen Wirkung. Die darin erkennbaren Querbezüge zur Pop Art, insbesondere zu Andy Warhols „Cow Wallpaper“ (1966), aber auch zur Volkskunst und hier vor allem zur Appenzeller Bauernmalerei, wurden erstmals schon 1969 in der Zürcher Ausstellung „Swiss Post-Pop-Idyllen und ein Appenzeller Naiver“ hergestellt. Auch die Künstlerin überzeugten sie im Rückblick. Primär aber waren die Bilder eine sehr persönliche und schon zu Beginn ihres Schaffens ganz aufs Wesenhafte konzentrierte Auseinandersetzung mit den ersten Eindrücken von der fast schon skurril pittoresken und heilen Umgebung, in die sie da hineingeraten war.
Die Rolle der persönlichen Erinnerung kommt im Werktitel tragend zum Ausdruck. Das Wort Souvenir trifft aber auch medienhistorisch einen Zeitnerv, denn mit dem Aufstieg des Massentourismus und der Marktreife des Farbfilms hatte sich auch die Fotografie gewandelt: In Form von farbgesättigten Bildbänden oder Reiseprospekten schürte sie das Fernweh, als Ansichtskarte war sie Teil der folklorisierten Andenken-Industrie. Auch mit dieser verkitschten oder zumindest geschönten, strategisch sentimentale Kanäle bedienenden Ästhetik scheint die Bildfolge zu flirten. Nur dass Barbara Davatz das Prinzip des Massenprodukts ins Gegenteil verkehrte und sich mit zwei manuell konfektionierten Unikatserien, die sie später noch um eine gescannte Version erweiterte, begnügte.
Astrid Näff