Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
X
Ugo Rondinone, The Dancer and the Dance, 2002
Audio, je 275 x 25 x 25 cm, Installation
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Sammlung Ringier, Schweiz

Mit seiner eindringlichen Soloschau „Die Nacht aus Blei“ (2010), die mit aufgemaltem Mauerwerk selbst das Äussere des Museums komplett veränderte, hat sich Ugo Rondinone (*1964) fest in die Annalen des Aargauer Kunsthauses eingeschrieben. Auch in der Sammlung ist er seither mehrfach vertreten. So geben unter anderem zwei Kreisbilder, das Wolkenregal „Diary of Clouds“ (2008) sowie eine Schar von Bronzevögeln aus der Werkgruppe „Primitive“ (2011) einen Einblick in sein technisch und motivisch breites Schaffen. Als Teil einer umfangreichen Schenkung aus der Sammlung Ringier sind nun drei weitere Werke des seit 1998 in New York lebenden Innerschweizer Künstlers hinzu gekommen, darunter die multimediale Installation „The Dancer and the Dance“ (2002).

Das gleichermassen raumfüllende wie raumbildende Werk besteht aus einer Anzahl von Hohlträgern, die sich zu einer offenen, begehbaren Struktur fügen lassen. Das System ist so konzipiert, dass über einem quadratischen Grundriss eine verwinkelte, kubische Archiskulptur erstellt werden kann. Die modularen Teile gestatten es aber auch je nach Raumsituation und Vorgaben des Künstlers ein stärker gestrecktes oder über Eck führendes Gebilde zu bauen. Gerade in kleineren Räumen oder im Zusammenspiel mit allfällig vorhandenen Stützen und Unterzügen ist die klaustrophobische respeketive tautologische Wirkung dieses Einpassens frappant.

Weit entfernt vom selbstgenügsamen Habitus der steinernen Pavillonskulpturen eines Max Bill, an welche die orthogonale Bauart erinnert, ist Rondinones Baute ein psychisch aufgeladener Raum. Atemgeräusche und der Klang eines Didgeridoos, sporadisch auch zuschlagende Türen, verlocken zum Nähertreten. Filzstiftzeichnungen von belanglosen, alltäglichen Verrichtungen eines einsamen Raben lenken den Gang durchs Labyrinth. Sowohl der Klangteppich als auch die Bildnarration suggerieren Belebtheit. Wie meist bei Rondinone, kippt der Eindruck aber bald einmal um in Melancholie: jene sehnsuchtsvoll verdichtete Leere, die sich auch im kurzen Vers der amerikanischen Lyrikerin Fanny Howe wiederfindet, der Rondinone zur Arbeit „Zero Built a Nest in My Navel“ (2006) und zur schwarz lackierten Werkvariante „All Those Doors“ (2003) inspiriert hat, beide mit dem gleichen Raben als Begleiter.

Eine Anregung, wie der elegischen Leere zu entkommen ist, gibt der Werktitel „The Dancer and the Dance“. Rondinone hat ihn einem viel beachteten Interview mit Merce Cunningham von 1980 entliehen und so eine interdisziplinäre Brücke gebaut. Tanz, so Cunningham in einem seiner eigenen Texte mit dem Titel „Space, Time, and Dance“ (1952), sei für ihn eine spirituelle Übung in physischer Form. Rondinone macht uns im Grunde das gleiche Angebot, unseren Geist beim Durchschreiten der Struktur zu befreien. Dabei stützt er sich auf Samuel Beckett, der im Menschen ein phantasierend herumstreifendes, seine Zeit verträumendes Wesen sieht. Man mag in der nüchternen Archiskulptur ein Sinnbild dieser existenziellen Unbehaustheit erkennen. Oder einen Möglichkeitsraum – die Einladung einer Rückkehr zu Handlungsmacht und Denken.

Astrid Näff

X