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Johann Heinrich Füssli, Warwick schwört vor der Leiche Gloucesters, 1780 - 1782
Oil on canvas, 76 x 104 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum Sammlung Werner Coninx

Johann Heinrich Füssli wurde am 6. Februar 1741 in Zürich als Sohn einer alteingesessenen Familie geboren. Sein Vater, Johann Caspar Füssli (1706–1782), war Maler und Verfasser eines der ersten Künstlerlexika. Im Unterschied zu seinem älteren Bruder, Johann Rudolf (1737–1806), der vom Vater zum Künstler ausgebildet wurde, sollte Johann Heinrich eine geistliche Laufbahn einschlagen. Er besuchte das Collegium Carolinum, die Schule des Zürcher Grossmünsters, und wurde 1761 als Pfarrer eingesetzt. Aufgrund eines Rechtsstreits wurde ihm 1763 nahegelegt, für eine gewisse Zeit auf Reisen zu gehen. Er liess sich 1764 in London nieder und entschloss sich – durch Joshua Reynolds (1723–1792) ermuntert, – Maler zu werden. Seine Entscheidung für die Kunst war wohl um 1768 erfolgt. 1770 reiste er nach Italien, um die zuvor eher für sich und gelegentlich betriebene Zeichnung und Malerei systematisch zu studieren, wenn auch als Autodidakt und im Umgang mit gleichaltrigen Künstlerkollegen. 1778 kehrte er nach London zurück, 1788 heiratete er Sophia Rawlins (um 1711–1771), die als Modell arbeitete. 1790 wurde Fusely, wie er nun genannt wurde, in die Royal Academy aufgenommen, 1799 zum Professor und 1804 zum Leiter dieser Einrichtung gewählt. Nach seinem Tod (16.4.1825) erhielt er, dem die Londoner Gesellschaft den Übernahmen „The wild Swiss“ gegeben hatte, ein Staatsbegräbnis und ein Grabmal in der Kathedrale Saint Paul.

Bekannt wurde Füssli vor allem für seine Darstellungen nach Theaterstücken von William Shakespeare (1564–1616) und von Begebenheiten aus den Nibelungen. Beide literarischen Stoffe waren bisher in der bildenden Kunst wenig behandelt worden; die meisten Themen der erzählenden Malerei stammten nach wie vor aus der Heilsgeschichte, aus der antiken Mythologie oder der abendländischen Geschichte. Füsslis Darstellungen nach Shakespeare entstanden zum Teil im Auftrag des Unternehmers John Boydell (1719–1814), der eine illustrierte Edition der Werke des Theater-Dichters herausgab. Er bat die bekanntesten Maler seiner Zeit um Darstellungen nach Szenen aus den populärsten Stücken Shakespeares, zeigte die Gemälde in einem nach dem Dichter benannten Ausstellungs-Gebäude und liess sie in Kupfer stechen. Füssli war in der 1789 eröffneten Galerie mit neun Bildern vertreten.

Die Darstellung „Warwick schwört vor der Leiche Gloucesters“ gibt eine Szene aus Shakespeares Henry VI. wieder. Das dreiteilige Theaterstück behandelt das Leben des glücklosen Königs, der an den Verwicklungen des gegen Frankreich geführten sogenannten 100-jährigen Kriegs (1337–1453) zugrunde ging und nach seinem Tod als Heiliger galt. Das von Füssli behandelte Thema stammt aus dem dritten Akt des Zweiten Teils. Abweichend von der heutigen Sicht auf die Ereignisse von 1447 lässt Shakespeare den inhaftierten Herzog von Gloucester, den Bruder des verstorbenen Henry V. und Onkel des regierenden Königs Henry VI., durch zwei Mörder im Kerker umbringen. Inhaftiert worden war Gloucester aufgrund von falschen Anschuldigungen, die Kardinal Beaufort sowie die Herzöge von Suffolk und Somerset gegen ihn vorgebracht hatten. In Füsslis Gemälde sind die drei Verschwörer rechts im Bild zu sehen, auf der Seite der Königin, deren Vertrauen sie genossen. Hoch aufgerichtet steht ihnen der Herzog von Warwick gegenüber, einer der mächtigsten und reichsten Fürsten am englischen Hof, einst Tutor des jungen Königs, und erhebt die Hand, um Rache für den Ermordeten zu schwören. Zu seiner Linken steht sein Verbündeter, Salisbury. Henry VI., der durch seinen Anspruch auf die französische Krone den bereits damals mehr als 100 Jahre dauernden Krieg trotz hoher Verluste fortsetzte, ist angesichts des ihm zu Füssen liegenden, ermordeten Onkels – des letzten ihm aus der männlichen Linie verbliebenen Verwandten – völlig zusammengebrochen – in scharfem Kontrast zur neben ihm sitzenden Königin, der als willensstark geschilderten Isabelle von Valois, deren Onkel Charles VII. seine Krone gegen den Anspruch aus England so erfolgreich verteidigte.

Hans-Peter Wittwer

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