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Ingeborg Lüscher, Ohne Titel. I F - XIV, 1995
Ilfochrome auf Aluminium, 82.5 x 125.5 x 4 cm, Fotografie
Aargauer Kunsthaus Aarau

Die Serie „Ohne Titel“ von Ingeborg Lüscher (*1936) zeigt fünf gelbtonige Fotografien, welche Sonnenuntergänge im Gebirge wiedergeben. Motivisch reihen sich diese Aufnahmen in eine Tradition der Schweizer Kunst ein, welche im Aargauer Kunsthaus bestens vertreten ist: diese reicht von den frühen Bergbildern Caspar Wolfs (1735–1783) über Ferdinand Hodlers (1853–1918) in die Moderne und mit Lüscher bis in die Gegenwart hinein. Über die Zeiten hinweg wirkt der Berg als Objekt anziehend, furchterregend und verlockend zugleich.

Gelbe Wolken verhüllen die fotografierte Landschaft, der Horizont verschwindet im leuchtenden Nebelschleier, die Konturen der Hügel und Baumwipfel verschwimmen in den gelben Schwaden, die durch das Bild ziehen. Die Kompositionen, bestehend aus gelben und dunklen, ins Schwarz tendierenden Farbtönen, erinnern an geheimnisvolle Fantasiewelten. Die Künstlerin kommentiert die Aufnahmen als „Himmel und Erde“, welche aufhörten, das eine oder andere zu sein.

Nach dem zweiten Weltkrieg siedelt Ingeborg Lüscher mit ihrer Familie aus Sachsen nach West-Berlin über. Die frühe Karriere der Künstlerin ist von der Schauspielerei geprägt: Nach dem Abitur und der Schauspielschule erhält Lüscher Engagements am Renaissancetheater in Berlin und zahlreiche Filmrollen. 1959 heiratet sie den Basler Farbpsychologen Max Lüscher (1923–2017), und wird in Basel ansässig. Dort engagiert sie sich bis 1965 als Schauspielerin. Darauf folgt ein Psychologiestudium an der Freien Universität Berlin. Dieses unterbricht Ingeborg Lüscher 1967 jedoch zu Gunsten eines Neuanfanges im Tessin als autodidaktische, selbstbestimmte Künstlerin. Lüscher wird dabei beeinflusst durch die politische Aufbruchsstimmung in Paris, Berlin und Prag, wo sie 1967 die Vorbereitungen zum Prager Frühling miterlebt. Frühe Arbeiten sind nebst malerischen Versuchen beeinflusst durch Joseph Beuys‘ (1921–1986) Forderung, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu verwischen. Mit der Erprobung neuer Medien und Materialien schliesst sie sich den Prämissen der Avantgarde der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre an.

In der Folge visualisiert Lüscher politische und philosophische Lektüre. Dabei entstehen zahlreiche Installationen aus Alltagsmaterialien, wie beispielsweise Abfall oder Zigarettenstummel. 1972 gastiert Lüscher an der documenta 5 in Kassel und begegnet dort dem Kurator Harald Szeemann (1933–2005), mit welchem sie von nun an zusammenlebt. Weiterhin entstehen konzeptuelle Arbeiten, welche autobiografisch bestimmt sind und in verschiedenen Medien und Techniken zu den Themen Eros, Liebe, Tod oder Zufalll ausgeführt werden. 1984 entdeckt Lüscher Schwefel als künstlerisches Material, das zur „Schlüsselfarbe“ in ihrer Skulptur, Malerei und Fotografie wird.
Ab 1984 wird die bisher sehr subjektive, auf Erlebnisse der Künstlerin bezogene Bildsprache objektiviert. Gelb und Schwarz sind die dominierenden Farben, reiner Schwefel und Asche die Materialien, die Lüscher auf Bildträger oder Objekte appliziert. Das Gelb erinnere laut der Künstlerin ebenfalls an Schwefel, den Lichtträger, wie er auch in ihren Gemälden und Skulpturen vorkommt. Das Schwarz wiederum stehe für die Tiefen, das kosmische Magma, ohne welches das Licht keine Bedeutung hätte. Das dualistische Prinzip „Himmel und Erde“ versucht Ingeborg Lüscher demgegenüber in ihrer Fotoserie aus dem Kunsthaus Aarau, jedoch aufzuheben.

Christian Herren

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