Kunstharz auf Kelco, 98 x 85.5 cm
Mit den Werken „Badezimmer“, „Dracula-Ehepaar“, „Hans Wiederkehr“ und „Johannes Grützke“ kamen 2012 vier Arbeiten von Margrit Jäggli (1941–2003), einer bedeutenden Schweizer Künstlerin, in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Zwei Werke gehören der Serie der Spiegelbilder an, welche Jäggli in den 1970er-Jahren international bekannt machten. Sie malte Porträts auf Pavatex-Platten, worauf sie Spiegelglas legte, dessen reflektierende Beschichtung im Bereich der Bildnisse ausgespart blieb. So schauen die ursprünglich selbst in den Spiegel blickenden Modelle auf dem Bild aus dem Spiegel heraus, während der Bildbetrachter eigens in den Spiegel schaut, verblüfft vom Effekt, darin nicht sich selbst zu erblicken. Margrit Jäggli strebte eine mehrfache Reflexion an. Sie wollte den Kern einer Persönlichkeit, einen Typ von „Ich-Gefühl“ einfangen und die Frage ausreizen, wie und wie gut wir uns selbst sehen und kennen.
Im Gegensatz dazu befremdet „Badezimmer“ durch Anonymität und Oberflächlichkeit. 1968 entstand es unmittelbar vor den Spiegelbildern. Noch fern der für die Porträts typisch hyperrealistischen Gestaltungsweise, zeigt Margrit Jäggli dem Betrachter eine Frau von den Schienbeinen an aufwärts bis unter die Augen. Diese können wir nur vermuten, denn Margrit Jäggli verwehrt uns den Blickkontakt zur Dargestellten und deren detaillierte Gesichtszüge. Die Unbestimmbarkeit eines individuellen Wesens wird verstärkt durch den badetuchartigen Umhang, dessen Voluminität durch wenige einfache Linien angedeutet wird. Die unbedeckt gebliebenen Körperglieder hingegen sind unter Verzicht auf Tonalität in der gleichen Ebenmässigkeit dargestellt, wie es der Hintergrund vorgibt. Dort wird eine Wand mit quadratischen Fliesen suggeriert. So kommt das Zusammenspiel von virtuellem Bildinhalt und realer Materialität des Bildträgers deutlich zur Geltung, denn es handelt sich bei letzterem um Kelco-Platten. Diese werden im alltäglichen Gebrauch aufgrund ihrer glatten Oberfläche vorwiegend in Bereichen eingesetzt, wo Hygiene wichtig ist. Die Fugen betonen einen horizontal-vertikalen Kompositionsduktus, der durchbrochen wird von der dynamischen Körperstellung. Der Verlauf des rechten Armes von links oben nach rechts unten in einer Diagonale wird über die Bildmitte vom rechten Bein fortgesetzt. Am Achsendrehpunkt ruht die rechte Hand, während sie das Tuch fixiert oder es jederzeit zur Seite schieben könnte. Sie fungiert als Bildmittelpunkt und schafft ein intimes Moment.
Margrit Jäggli verzichtete auf eine eigene Handschrift und evozierte trotzdem eine Empfindungskategorie, die mit dem Titel assoziiert wird. Viel eher als eine individuelle Persönlichkeit, repräsentiert die Frau auf dem Bild einen bestimmten emotionalen Zustand, der eine individuelle Ausgestaltung offen lässt, ja voraussetzt. Das Badezimmer bedeutet in unserer Kultur Alltag, einen Ort der Selbstpflege. Wir suchen es im privaten wie im öffentlichen Raum auf, schliessen uns darin ein und andere aus.
Margrit Jäggli hatte vor dem Lehrerseminar eine Schneiderlehre absolviert. Sie studierte Kunstgeschichte, Literatur und Philosophie und besuchte die Kunstgewerbeschule Bern. Ab 1963 führte sie ihr eigenes Atelier. Sie erhielt den Preis der Kunstkommission der Stadt Bern und wurde mit dem Louise-Aeschlimann-Stipendium gefördert. 1983 zog sie sich aus dem Kunstbetrieb zurück.
Das Werk „Badezimmer“ verdeutlicht innerhalb Margrit Jägglis Œuvre einen Wendepunkt hin zu einer individuellen Bildsprache, welche über die formalen Einflüsse der Pop Art hinausführte und welche die Künstlerin selbst als „psychologischen Realismus“ bezeichnete.
Rahel Beyerle