Draht und Buntglas auf Holz, hinter Plexiglas, 50 x 64.5 x 3 cm
„Material leitend. Optisches Turngerät. Überraschungen.“ Diese Stichworte notierte der Basler Maler und Plastiker Walter Bodmer (1903–1973) zur Wirkung seiner aus Drahtstäben gelöteten Werke im Hinblick auf einen Vortrag, den er 1953 vor der Basler Ortsgruppe des Schweizer Werkbundes hielt. Damit ist angetönt, mit welcher Dynamik das Auge im dichten Über-, Neben- und Hintereinander der Linien herumgeführt wird, welche Richtungswechsel ihm unentwegt auferlegt werden, welche Zwischenhalte es allenfalls kurzzeitig stoppen. Seit 1936, als Bodmer seine ersten Drahtbilder und -plastiken anfertigte und sie im Kunsthaus Zürich im Rahmen der Ausstellung „Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik“ zeigte, gilt für seine Arbeiten dieses reichhaltig variierte konstruktive Prinzip.
Tatsächlich wird Bodmer gemeinhin zur konstruktiven Kunst gerechnet. Festzuhalten ist allerdings auch, dass seine Formfindung stets auf spontanen Entscheiden basierte, dass sie reine Improvisation ist. Lineares und Flächiges, Rundes und Spitzes wird ausgewogen zueinander ins Verhältnis gesetzt, desgleichen Schwung und Gegenschwung, Expansion und Konzentration. Fast immer resultiert aus diesem Vorgehen der Eindruck schwereloser Beschwingtheit, fast immer ist die Wirkung abstrakt. Mitunter arbeitet Bodmer aber auch assoziativ und lässt in diesen raren Fällen seine Faszination für den Zustand des Fliegens erkennen, sei es motivisch, im Titel oder über die Umsetzung als Schwebeplastik. Zu diesen Werken gehört wohl auch das späte Drahtbild des Aargauer Kunsthauses, das 1983 aus der umfangreichen Sammlung des Basler Gastrounternehmers und Kunstmäzens Emil Wartmann angekauft worden ist. Wie die Blätter der Grafikmappe „Spiel mit drei Figuren“ (1942), zu denen Georg Schmidt, der damalige Direktor des Kunstmuseums Basel, einen Begleittext verfasst hat, in dem er von geflügelten und geschnäbelten Wesen spricht, oder wie das Drahtbild „Ikarus“ (1945) und die Gouache „Aus der Vogelschau“ (1965) scheint es zwischen einer rein formalen und einer im Ansatz figürlichen Lesart – erneut ein Vogelwesen? – zu oszillieren. Eine weitere Besonderheit dieses Werks ist der Einsatz von farbigem Glas, das statt der sonst üblichen Bleche rote und blaue Akzente setzt. Schon in den 1930er-Jahren hat Bodmer mit Buntglasfenstern erste Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht, und auch später hat er wiederholt auf Glas zurückgegriffen, so zum Beispiel 1955 in einer enttäuschend verlaufenen Zusammenarbeit mit dem Centro Studio Pittori Arte Vetro Murano oder 1962/63 bei seiner grossen Hängeplastik für die Mensa der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in St. Gallen. Durch die Glaselemente wirkt das Relief noch leichter und verspielter, und im Schattenwurf – ein wesentlicher Aspekt aller Arbeiten Bodmers aus Draht – zeichnen sich ebenfalls farbige Felder ab. Trotz des Augenmerks auf der Linie und der damit einhergehenden Minimierung der Materie entwickelt das Drahtbild auf diese Weise viel Volumen und eine federleichte Körperlichkeit.
Astrid Näff, 2019