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Eric Schommer, Strassenbild, 1972
Öl, Dispersion auf Leinwand, 100 x 140 x 2 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau

Erico Schommers 1972 fertiggestelltes Gemälde “Strassenszene“ wirkt ein wenig unbeholfen – der Gesichtsausdruck des im Profil gegebenen Mannes, der von links an der Badener Apotheke „zum Glas“ vorbeigeht, ist unnatürlich starr geraten. Diese Unzulänglichkeit mag allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, mit welch handwerklichem Geschick das Bild gemalt ist. Die Bewegungsunschärfen lassen auf eine fotografische Vorlage schliessen. Hinter dem jungen Mann ist eine ältere Frau in einem karierten Mantel zu erkennen. Sie bewegt sich in entgegengesetzter Richtung durch das herbstlich angehauchte Strassenbild. Die junge Frau in der Büroetage über der Apotheke ist erst auf den zweiten Blick zu entdecken. Sie blickt über den Rand einer grossen Rechenmaschine hinweg auf die Strasse in unsere Richtung. Das Bild zeigt eine Alltagssituation in einer Schweizer Kleinstadt. Dennoch ist das Gemälde mehr als ein naturgetreues Abbild der Situation am Badener Cordulaplatz. Schommer wollte die auf den ersten Blick intakte Abbildlichkeit seines Gemäldes aushebeln. Er schafft dies mit einem einzelnen Wort: Auf der Schaufensterauslage ist neben „Farmacia zum Glas“ in denselben Lettern „Drogen“ zu lesen. Dieses kleine Quäntchen Irrationalität in einer ansonsten nüchtern gegebenen Alltagssituation ist für das künstlerische Interesse des Badener Malers charakteristisch. Die Verschmelzung von Realismus und Phantasie, die hier ihren Anfang nimmt, ist das prägende Moment der kurzen Karriere des Künstlers.

Nach Baden kommt der 1942 in Fleurier im Kanton Neuenbeug geborene Schommer durch seine Lehre als Maschinenzeichner. Noch als Angestellter der BBC fällt er mit kleinen surrealistischen Bildern auf. Sie erinnern an die Bildwelten von Salvador Dali und sind mit grosser technischer Raffinesse gemalt. Auf Anraten von Heiny Widmer, dem damaligen Direktor des Aargauer Kunsthauses, wendet er sich dem zu Beginn der siebziger Jahre angesagten Fotorealismus zu. Die Rechnung geht auf. Er startet durch und wird mit einem kantonalen Werkjahr und einem eidgenössischen Kunststipendium belohnt. Seinen Brotberuf gibt er auf. 1973 werden seine Werke in der Ausstellung „Formen des Realismus“ im Aargauer Kunsthaus im Kreis international bekannter Realisten und Fotorealisten gezeigt und im Kunsthaus Zürich kann er an der ersten Biennale der Schweizer Kunst teilnehmen.

Schon damals wendet er sich nach und nach vom reinen Realismus ab und findet überraschende Wege, verschiedene Wirklichkeitsebenen miteinander zu verschmelzen. Diejenigen Bilder, in denen ihm diese Synthese von Surrealismus und Realismus elegant und in unverkennbarer Eigenständigkeit gelingt, gehören zum Besten, das er zu schaffen vermag. Trotz den hoffnungsvollen Anfängen stellt sich keine internationale Karriere ein. Erico Schommer, der als Einzelgänger und Sonderling beschrieben wird, findet keinen gesellschaftlichen Anschluss. Nach Jahren von Alkohol- und Drogenmissbrauch verliert sein Schaffen zusehends an Substanz. Im Februar 1985 wird er tot in seiner Wohnung in der Limmataue aufgefunden. Er wird nur 43 Jahre alt.

Claudia Spinelli

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