1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton, 08' 08''
Pipilotti Rist (*1962) zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart. Sie ist eine Pionierin der Videokunst und repräsentiert eine neue Generation von Frauen in der bildenden Kunst. Ihre Werke kombinieren Video, Musik und Film zu lustvoll überbordenden Environments. Als Betrachtende tauchen wir ab und ein in emotionsgeladene Bildwelten, gespickt mit rasanten Kamerafahrten, mannigfaltigen Bildstörungen und malerischen Verfremdungen. Inhaltlich kreisen die Videos und Installationen meist um die Themen Intimität, Körperlichkeit und weibliche Befindlichkeiten, wobei es Rist zugute kommt, dass sie diesen von der feministischen Kunst häufig anklägerisch angegangenen Feldern mit einem spielerischen und versöhnlichen Tonfall begegnet.
Seit rund zwei Jahrzehnten feiert Rist internationale Erfolge; ihre Werke sind in den wichtigsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst vertreten. Das Aargauer Kunsthaus kann 2006 eine charakteristische Arbeit gewinnen: „Sketch B for Kanazawa (Du erneuerst Dich/You Renew You)“ (2004) wird im Nachklang der Ausstellung „Alpine Air“angekauft, die Beat Wismer, der damalige Direktor des Kunsthauses, im Auftrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia anlässlich der Weltausstellung EXPO 2005 in Japan ausrichtet. Das Spezielle dieser Videoinstallation ist, dass sie ursprünglich als Entwurfsmodell einer permanenten Installation dient, die im Museum des 21. Jahrhunderts für zeitgenössische Kunst in Kanazawa, Japan, eingerichtet wird. Sie ist „Skizze“ und abgeschlossenes Werk zugleich und verweist bereits mit dieser Doppelfunktion auf die in der Bild-Ton-Projektion aufgegriffenen Motive von Selbsterneuerung und Reinigung.
Auf einer hochkant an die Wand gelehnten Holzplatte ist behelfsmässig, mit scheinbar kaum mehr als blauem Klebeband, eine Box befestigt, darin eingelassen ist eine quaderförmige Öffnung. Die weisse Front überzieht ein quadratisches Gittermuster in feinen Bleistiftstrichen, oberhalb der Box ist ebenfalls mit blauem Klebeband ein Beamer montiert. Im Kontrast zum Provisorischen und Kruden dieser Elemente steht das transparente Innenleben der Kiste. Auf einer Plexiglasplatte sind zwei Bergkristalle angebracht, dahinter eine halbe Kreisscheibe aus einer Art Milchglas. Im rückwandigen Spiegel multiplizieren sie sich zu einer ausserirdisch anmutenden Landschaft. Sie erstrahlt im rosatonigen Licht der Videoprojektion, die ausgehend vom Beamer die Szenerie belebt. Das Video, das vielmehr eine Atmosphäre generiert als eine im Detail nachvollziehbare Narration, umkreist die Themen Reinigung und Selbsterneuerung. Bilder von Nahrung und Getränken wechseln sich ab mit Strömen von Blut, Tränen und anderen Körpersäften; musikalisch begleitet von Vogelgezwitscher und sanftem Singsang wird dem Körper gehuldigt sowie seiner Fähigkeit, sich selbst zu reinigen. Die Kristalle, die nach esoterischen Lehren eine reinigende Wirkung besitzen, unterstützen diesen Vorgang. Aufschlussreich ist es, das Setting, das Rist für die endgültige Präsentation im Museum in Kanazawa vorgesehen hat, in die Betrachtung miteinzubeziehen: Rist schafft die Installation nämlich für die Toiletten des 2004 eröffneten Museumsbau der japanischen Stararchitekten SANAA. Das in der vorliegenden Arbeit angedeutete Gittermuster stellt die Kacheln dar, in denen das Plexiglas-Kristall-Ensemble wie ein kleiner Altar eingelassen ist. Dass sie ihr Werk ausgerechnet in der Toilette installiert, passt zu Rist. Die Künstlerin kennt keine Tabus, weder was den menschlichen Körper noch was seine Ausscheidungen anbelangt. Es ist ungewohnt genug, dass Letztere thematisiert werden – hier werden sie sogar geehrt und gefeiert.
Yasmin Afschar