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Rolf Winnewisser, Porträt des Malers: als Roulette spielender Lazarus, als Brücke über dem Abgrund, als ein im Zick-Zack Gehender, ein wandernder Begriff, durch Leerformen Hindurchschauender, endlich dort (...), 2020
Acryl auf Baumwolle, 220 x 283 cm, Gemälde

Cyan, Magenta und Gelb – Rolf Winnewissers (*1949) Bildtuch aus dem Jahr 2020 präsentiert sich als Überlagerung von Landschaften, Menschen und Innenräumen in leuchtendem und durchscheinendem Farbauftrag. Um Farbprobleme zu vermeiden, hat Winnewisser lange Zeit nur in Indigo gemalt. In dieser neuen Arbeit spielt er hingegen mit den farbevozierten Bildebenen, die stellenweise kollabieren und willkürliche, abstrakte Formgebilde oder Inversionsfiguren sichtbar werden lassen. Prekäre Situationen, in denen Stimmungen und Eindrücke schlaghaft kippen können, werden im Werk auf diese Weise auch formal thematisiert.

Am rechten Bildrand schwingt eine Figur einen Hammer über einem Schmiedeblock. Ist es ein Schmied? Und was hat es mit der Figur am oberen Bildrand auf sich, die zwischen zwei Zügen zu schweben scheint? Während der Blick behutsam der kaleidoskopischen Bilderzählung folgt, eröffnet der überlange Titel eine zusätzliche Ebene, die auf die Vielfachkompetenzen des Künstlers verweist. Während dem Schmied die Auseinandersetzung mit der mythologischen Figur des Hephaistos zugrunde liegt und in der oberen Bildmitte Winnewissers Beschäftigung mit Franz Kafkas Werk „Die Brücke“ anklingt, wagen unvoreingenommene Betrachterinnen und Betrachter vielleicht eher biografische Deutungen: Im Porträt des Künstlers erkennen wir Winnewisser selbst als Gedankenschmied und auch die schwebende Gestalt kann plötzlich als wagemutiger Artist und Erschaffer eines Spektakels gelesen werden.

Obige Vermutungen knüpfen direkt an eines der Kernthemen von Winnewissers künstlerischer Auseinandersetzung an: In seinen Werken nähert sich der Wahlaargauer stets Fragen der Wahrnehmungstheorie und setzt sich kritisch mit dem Verhältnis von Sprache und ihrer Zeichenhaftigkeit auseinander. Eine Nähe zur Sprachwissenschaft begleitet Winnewisser bereits seit seiner Tätigkeit als Zeichner in einem Alphabetisierungsprojekt in Tillabery (Niger) in den frühen 1970er-Jahren. Auch 2008, als Winnewisser in der zu seiner Einzelausstellung „Split Horizon“ im Aargauer Kunsthaus erschienenen Publikation „Alphabet des Bildes“ einen ganz eigenen Kosmos werkimmanenter Zusammenhänge erschliesst, wird die unabdingbare Nähe von Bild und Schrift deutlich. In Winnewissers Werk erscheinen Wörter zunehmend wie leere Schubladen, die darauf warten, mit unseren inneren Bildern befüllt zu werden.

Im Porträt des Malers entdecken mit Winnewissers Werk Vertraute links der Bildmitte auch den „Morphologischen Kasten“ (2007) wieder. Als Bild im Bild erinnert das den Lehren des Physikers Fritz Zwicky entlehnte Modell, das durch die modulare Neuanordnung bekannter Formen und Farben als Werkzeug der Ideengenerierung dient, an die unerschöpfliche und universelle kreative Kraft der Kunst. Dem Gedächtnis vergleichbar saugt der Baumwollbildträger die vergangenen Eindrücke auf und gibt sie in einem oszillierenden Farbspiel wieder. Einer flüchtigen Momentaufnahme gleich, offenbart das „Porträt des Malers“ die unbewusste Komplexität sinnlicher Erfahrung und ihrer bildhaften Repräsentation.

Bassma El Adisey

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