1-Kanal-Video, Farbe, Ton, 18' 43''
Mit bild- und erzählstarken Videoarbeiten hat Ursula Biemann (*1955) ab den 1990er-Jahren Bekanntheit erlangt. Ihr recherchebasiertes Werk ist anfangs vor allem Ausbeutung und Migration gewidmet. 2005 beginnen sich diese Themen mit geopolitischen und extraktionskritischen Fragen zu verbinden. Extensive Lektüre, etwa von Michel Serres, Bruno Latour, Donna Haraway und Astrida Neimanis, legt dazu das theoretische Fundament. Seither bestimmen einerseits Debatten zum Anthropozän, namentlich zu den Folgen des Klimawandels für die Polar- und Äquatorialregionen ihr Schaffen. Andererseits plädiert die Künstlerin aus einer post-kolonialen und post-anthropozentrischen Perspektive heraus für die Akzeptanz indigenen Wissens, das in natürlichen Ressourcen – Wasser, Wald, Boden – und in nichthumanen Organismen keine kapitalistischen Rohstoffe, sondern die Grundbedingungen allen Lebens sieht. Dabei zeigt sich Biemann davon überzeugt, dass Kunst eine weltweit verstandene Übersetzerrolle einnehmen kann und so die oftmals datenlastigen Stimmen der Wissenschaft wirksam zu verstärken vermag.
«Acoustic Ocean», ein Videoessay, das anknüpfend an die drei Jahre ältere Arbeit «Subatlantic» erstmals 2018 im Haus der Elektronischen Künste in Basel und seither in vielen weiteren Kontexten gezeigt worden ist, präsentiert auf den ersten Blick ein typisch naturwissenschaftliches Dispositiv. Die Kamera, geführt von Lydia Zimmermann, begleitet eine junge Meeresbiologin, die vor der einsamen, scheinbar unberührten Kulisse einer subarktischen Landschaft technische Gerätschaften ausbringt und bedient. Mit Hydrofonen – hochsensiblen, auch militärisch genutzten Unterwassermikrofonen, die Schall in messbare elektronische Impulse verwandeln – erhorcht und «verschriftet» sie, wie es im Voiceover heisst, die Klangwelt der vor ihr liegenden Meeresgeografie. Über ein Hohlspiegelmikrofon, das sie einprägsam gegen den Abendhimmel richtet, versucht sie Geräusche terrestrisch zu orten.
Ursula Biemann hat ihre Protagonistin als fiktive Figur und in gewisser Weise als Grenzgängerin angelegt. Gemimt von Sofia Jannok, einer Performerin und Sängerin aus der indigenen Gemeinschaft der Sámi, verkörpert sie nicht nur die technologisch geprägte westliche Praxis. Wie Details ihrer Kleidung, insbesondere der Kragen aus Rentierfell verraten, steht sie auch für tradiertes Kulturgut und Wissen. In der magistralen Umgebung der Lofoten, in der die Künstlerin gefilmt hat, scheinen beide Welten vereinbar. Unerwähnt bleibt allerdings, dass die zu Vestvågøy gehörende Bucht, die sich nach Westen – zur Mitternachtssonne – unverstellt zum Atlantik öffnet, mit jährlich rund einer Viertelmillion Touristen, Stand 2018, einer der meistbesuchten Küstenpunkte der Inselgruppe ist. Ungesagt bleibt auch, dass die im Video zu hörenden Rufe der Meeresbewohner, wie die Künstlerin in einem Making of preisgibt, Recordings der 1970er-Jahre sind, da die akustische Störung der Ozeane keine vergleichbare Qualität mehr erlaubt. In einer jähen Erwartungsumkehr verkommen die geradezu rituellen Handlungen der Forscherin dadurch zu leeren Gesten einer technogläubigen Spezies, die den Lebensraum anderer Daseinsformen nur nach ihrem eigenen Nutzen bemisst. Zudem ist nicht nur die Kommunikation im Wasser beeinträchtigt. Auch das Leben an Land – exemplarisch aufgezeigt an den Problemen der Rentiere – ist wegen des Klimawandels und somit in letzter Instanz wegen der Einflussnahme des «modernen Menschen» auf die Natur erschwert. Die beschwörenden Worte der Protagonistin und ebenso die atmosphärischen Bilder lassen aber dennoch Zuversicht aufkommen, dass sie angesichts der Fragilität dieses und vieler anderer Ökosysteme zu einem Sinneswandel führen.
Astrid Näff, 2024