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Augusto Giacometti, Amaryllis, 1947
Öl auf Leinwand, 100.7 x 96.2 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung aus Schweizer Privatbesitz
Copyright: gemeinfrei
Fotocredit: Brigitt Lattmann

Mit über 230 Gemälden nehmen Blumenbilder einen bedeutenden Platz in Augusto Giacomettis Œuvre ein. Für den 1877 im kleinen Bergeller Dorf Stampa geborenen Künstler sind sie einerseits eine willkommene Einnahmequelle, denn die Werke sind beim breiten Kunstpublikum gefragt. Andererseits eignen sich die floralen Motive für das zentrale Anliegen Giacomettis, das sich durch alle Schaffensphasen zieht: das Thema der Farbe. Seien es Darstellungen nach Blumen in der freien Natur seiner Bergeller Heimat, zu denen vor allem die frühen Werke zählen, oder im Atelier arrangierte Blumenstillleben, immer steht das Wechselspiel der zumeist kräftigen Farbe im Vordergrund. In den frühen Blumenbildern spachtelt Giacometti die Farbe mosaikartig auf die Leinwand und lässt ihr zunehmend einen abstrakten künstlerischen Eigenwert zukommen. Ab 1917 wird der Pinselduktus wieder lasierender und das Dargestellte in seiner Gegenständlichkeit besser lesbar.

Das vorliegende, grossformatige Werk gehört zur traditionsreichen Gattung der Blumenstillleben. In zwei kleine Tontöpfe gesetzt, schieben sich aus den faustgrossen Knollen die kräftigen Stängel zweier Amaryllis mit ihren roten Blütentrichtern empor, die sich in der oberen Bildfläche wirkungsvoll entfalten. Die anmutige und gleichzeitig widerstandskräftige Erscheinung kommt ohne Kontur aus. Giacometti inszeniert die Pflanzen vor einem drapierten Vorhang mit bläulichen, rosa und violetten Farbtönen. Während im unteren Bereich mit den diagonalen Tischkanten, den beiden Töpfen und ihrem Schattenwurf sowie dem sorgfältig drapierten Vorhang, der auf der Tischfläche zu liegen kommt, ein illusionistischer Bildraum angedeutet ist, verschreibt sich die Darstellung in der oberen Bildhälfte einer flächenhaften Ästhetik. Zwischen den Farben des Gewächses und des Hintergrundes entsteht ein kontrastreicher und eigentümlich knirschender Farbklang zwischen Grün, Rot und Altrosa.

Giacometti malt die Amaryllis in seinem Todesjahr 1947. Der Überlieferung nach ist es sein letztes Werk, für dessen Vollendung er den von seinem Arzt Karl Rohr (1900–1959) empfohlenen Eintritt in die Zürcher Klinik Hirslanden bis zum 28. Mai aufschiebt. In einem letzten Brief schreibt Giacometti seinem Freund und Biografen Arnoldo M. Zendralli (1887–1961): «[…] in Absprache mit Rohr packe ich mitten in der Woche meine Bündel und fahre für einige Zeit hinauf in die Hirslanden-Klinik. Das wird mir guttun. Absolute Ruhe. Komplette Erholung. – Ich habe jetzt eine Leinwand mit ‹Amaryllis› fertiggestellt, grosse schöne rote Blumen (zumindest das Modell, das ich hatte).» Am 9. Juni 1947 stirbt Giacometti in der Klinik. Mitte Oktober wird das Gemälde an der Gedächtnisausstellung im Bündner Kunstmuseum in Chur mit dem Titel «Rote Clivien (Letztes Bild)» gezeigt. Danach gelangt es in den Besitz des behandelnden Arztes Rohr und später von dessen Nachfahren als Schenkung in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses.

Denise Frey, 2024

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