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Philippe Decrauzat, Peripheral vision, 2009
Acryl auf Leinwand, 216 x 206 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau

Die Kunst von Philippe Decrauzat (*1974) bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen dem Erbe abstrakter Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts wie Konstruktivismus, konkrete Kunst, Op Art oder Minimal Art und Referenzen zu Grafikdesign, Musik, Experimentalfilm oder Naturwissenschaften. Beide studierten an der ECAL (Ecole cantonale d’art de Lausanne), wo sie inzwischen selbst unterrichten, arbeiten gelegentlich zusammen oder stellen gemeinsam aus. Das Aargauer Kunsthaus hat 2010 von diesen Vertretern der aktiven Kunstszene in Lausanne erstmals Werke angekauft.

Die acht strahlenförmig angeordneten, unregelmässig langen Balken von Philippe Decrauzats Shaped Canvas „Peripheral Vision“ (2009) sind jeweils längs in eine schwarze und eine weisse Fläche geteilt, deren Berührungslinie in die Mitte der Leinwand verläuft. Durch den Farbkontrast und die angespitzten Enden gehen vom planen Werk eine räumliche Wirkung und eine Dynamik aus, welche den Blick der Betrachter/innen zum Zentrum und zugleich in die acht Peripherien leitet. In diesem in Bewegung versetzten, haltlosen Sehen scheinen die Formen zu vibrieren. Die im Werktitel erwähnte periphere Sicht verweist auf die visuelle Wahrnehmung ausserhalb eines fokussierten Punktes in der Blickachse mit der grössten Sehschärfe. Das Gemälde, dessen Strahlenform einem Schema von Tragekonstruktionen für Dachstühle entnommenen ist, dient dem Künstler als eine zweidimensionale Repräsentation von Raum. Ebenso ist es ein Modell für das menschliche Sehen zwischen der Fokussierung eines Punktes und dem Sehverlauf in entgegengesetzte Richtungen. Nicht zuletzt erinnern die schwarz-weissen Balken, die sich auch in anderen sternförmigen Gemälden oder im wandfüllenden Raster „D.K.“ (2006) wiederfinden, an das Logo „DK“ der kalifornischen Punkband Dead Kennedys.

Die grossformatigen, quadratischen Leinwände „AST149“, „AST151“ und „AST152“ von Stéphane Dafflon könnten als Dreierserie angelegt sein, sind jedoch für sich stehende Werke. Zusammen präsentiert – wie in der Ausstellung „Abstraktionen II“ des Aargauer Kunsthauses 2010 – geht von ihnen ein formaler Rhythmus aus: Es sind Kompositions- und Farbvarianten derselben vertikal oder horizontal ausgerichteten, von einem Balken am Rande der Leinwand aus in dünne Spitzen endende Form. Diese verläuft in Blau von oben ins Bild („AST149“), in Grün von oben und dunklem Rot von unten aufeinander zu („AST151“) und kreuzt sich in kaum unterscheidbaren Blautönen („AST152“). Die Leinwand bleibt mehrheitlich weiss, weshalb die Farbflächen als eine Positiv- oder aber das Weiss als eine Negativform gesehen werden können. Oft bleibt die Bildmitte in Dafflons Gemälden „leer“, während die präzisen und zugleich verspielten Formen, die der Künstler unermüdlich variiert, vom Bildrand ausgehen, wie beispielsweise die abgerundeten Ecken: Eine Formsprache die an das Design der 1960er-Jahre erinnert. Ebenso minuziös wie die Gestaltung der oft seriell konzipierten Arbeiten sind die Werktitel, die auf einem Codesystem basieren: AST verweist auf die Technik „acrylique sur toile“, während die Zahlen einer fortlaufenden Nummerierung entsprechen.

Zentral ist für beide Künstler die Transformation von historischen künstlerischen Abstraktionen, zugleich ist die Eigenständigkeit ihrer Positionen nicht zu übersehen. In Decrauzats Werken entstehen neben der oft starken räumlichen Wirkung Bedeutungsräume aus einem intertextuellen Netz, in dem sich direkte oder verschlüsselte Referenzen zu verschiedenen Disziplinen überlagern. Bei Dafflon stehen das Bild und der Bildraum im Zentrum, wobei jegliche Schwerkraft ausser Kraft gesetzt zu sein scheint, den Environments des Space Age Design der 1960er-Jahre nicht unähnlich.

Anna Francke

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