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Silvie Defraoui Chérif Defraoui, Autoportrait, 1973
Photographie s/w auf Aluminium (Träger überprüfen), 69 x 163 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Silvie Defraoui

In einem Schwarz-Weiss-Fotoporträt sitzt sich das Künstlerpaar Silvie (*1935) und Chérif (1932–1994) Defraoui gegenüber, ohne sich gegenseitig in die Augen zu schauen. Offenbar nach unten gesenkt, scheinen die Blicke nach innen gerichtet. Das lange, zweiteilige Horizontalformat erlaubt einen verhältnismässig grossen Abstand zwischen den im „shoulder close-up“ abgelichteten Personen. Die hellen Gesichtsprofile zeichnen sich scharf umrissen vor dem schwarzen Hintergrund ab, derweil sich die Übergänge von den Haarpartien zu den Hinterköpfen diffus ausformen. Letztere verbinden sich mit Hundehäuptern, deren helle Schnauzen zu den Bildkanten links und rechts zeigen.

Das Auge des Betrachtenden schwankt zwischen Ergänzung, Überlagerung und Verbindung von Tier und Mensch. Die Janusköpfe evozieren ein surreales Moment und führen die Frage nach der Identität mit sich. Existiert der im Nacken sitzende Hund, das Mischwesen, nur im Bild oder auch im archaischen Gedächtnis, oder ist er eine subjektive Idee des Rezipienten?

In der Publikation „Archives du futur 1975–2004“, welche das Werk verzeichnet, findet der Kunsthistoriker Michael Gnehm eine mögliche Antwort darauf: „Was hier als fotografische Collage erreicht ist, hat wie so oft bei den Defraouis ein Pendant in der Ikonographie der Kunstgeschichte. Unversehens bestimmt sie unser Kunstverständnis mit, man denkt unwillkürlich an die in der Renaissance wiederbelebte, aus Wolf, Löwe und Hund zusammengesetzte Figur der Prudentia, welche dann Tizian in Form der drei Lebensalter – von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – dargestellt hat: Ein dreiköpfiges Fabeltier in der ägyptischen Version des griechischen Zerberus, des Wächters an der Schwelle von Leben und Tod, ist mit westlichen Vorstellungen des Lebensverlaufs vermischt. Wo bleiben da Identitäten? Das Eigene eines Menschen ist durch Andere, durch Fremdes, durch sogenannt Animalisches oder Barbarisches mitbestimmt; was er produziert, ist geschichtlich in die jeweilige Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft eingebettet, die dennoch nie isoliert von anderen Kulturen sich entwickeln.“

Das „Autoportrait“ datiert auf 1973. Damals arbeiten und signieren die Defraouis noch nicht zusammen als Kollektiv. Erst zwei Jahre zuvor realisieren beide unabhängig voneinander ihre ersten Einzelschauen. Doch „Autoportrait“ deutet die Reflexionsschwerpunkte der ab 1975 offiziell gemeinschaftlichen Arbeit an: die Wandelbarkeit des Bildes, dessen verschiedene Wahrnehmungsweisen sowie Bewertungen, ihre Bedeutungen und das Umwälzen visueller Konditionen. Fotografien verwendet das Künstlerpaar schliesslich vorwiegend als Objets trouvés. In Genf leiten sie die 1974 selbst gegründete Abteilung „médias mixtes“ an der Ecole supérieur d’art visuel. Sie hinterfragen konventionelle künstlerische Kategorien und vereinen Fotografie mit Video und Malerei meistens in installativen Präsentationen.

Im Schaffen ab 1980 findet sich das Motiv der Tier- oder Zwitterfigur vermehrt wieder. Aber als Selbstbildnis behält „Autoportrait“ einen singulären Stellenwert im Gesamtwerk, denn dieser Darstellungstyp taucht bis zum Tod Chérifs 1994 nicht wieder auf. Der Öffentlichkeit wird das Werk erstmals 1995 in einer Ausstellung in Lausanne zugänglich gemacht. Das Aargauer Kunsthaus kauft es im Frühjahr 2013 für seine Sammlung an und präsentiert es im Folgejahr in der Ausstellung „Desiderata“.

Rahel Beyerle

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