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Erich Heckel, Kind, 1919
Kohle, Bleistift und Aquarell auf Papier, 57.5 x 44 cm, Arbeit auf Papier
Aargauer Kunsthaus Aarau / Legat Dr. Othmar u. Valerie Häuptli

Der Technik des Aquarells kommt im Schaffen des deutschen Künstlers Erich Heckel (1883–1970) eine wichtige Bedeutung zu. Zum einen sind in seinen Aquarellen zahlreiche Bezüge zu Ölgemälden und druckgrafischen Arbeiten auszumachen, zum anderen erreicht das Medium ein grosses Mass an Autonomie im Gesamtwerk Heckels. Vor allem ab den 1920er-Jahren gewinnt es an Wichtigkeit und drängt sogar seine Tätigkeit im Bereich der Druckgrafik zurück.

Dass das Aquarell überhaupt als eigenständiges und vollwertiges Kunstwerk angesehen wird, ist nicht zuletzt dem Wirken der Künstlergruppe „Brücke“ zu verdanken, zu deren Mitbegründern Heckel neben Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) und Fritz Bleyl (1880–1966) gehört. Zwar hatte das Aquarell bereits für Kunstschaffende früherer Jahrhunderte Relevanz, allerdings mehrheitlich als Vorarbeit für das „richtige“ Werk auf Leinwand. Für die „Brücke“-Künstler ist die Technik des Aquarellierens jedoch viel mehr, nämlich das ideale Vorgehen, um ihre Eindrücke unmittelbar und unverfälscht wiederzugeben. Das nötige Material kann leicht mitgeführt und draussen in der Natur verwendet werden, die Farben sind schnell angerührt und aufgetragen. Noch im Moment des Malens ist es möglich, das Motiv mit dem realen Vorbild zu vergleichen. Umso erstaunlicher ist es, dass Heckel genau von diesem Vorteil nicht Gebrauch macht. Zwar zeichnet und skizziert er durchaus im Freien, die Aquarellfarben kommen jedoch immer erst in einem zweiten Schritt im Atelier hinzu. Er ergänzt die Zeichnungen mit Farbflächen und lässt in den meisten Fällen die mit Kohle oder Bleistift aufs Blatt gebrachten Konturen sichtbar stehen. Es scheint, dass es dem in der Forschungsliteratur durchgehend als besonders sensibel beschriebenen Künstler mehr darum geht, eine Empfindung oder eine Erinnerung an einen Moment wiederzugeben als abzubilden, was er tatsächlich wahrgenommen hat. Der Massstab für das Gelingen eines Werks bezieht sich somit nicht auf den direkten Vergleich mit der Realität, sondern auf die Frage, ob das Wesentliche des Augenblicks im Bild zu sehen ist.

Über das Aquarell „Kind“ (1919), das 1983 als Legat des Sammlerehepaars Dr. Othmar und Valerie Häuptli in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses gelangte, ist wenig bekannt. Zu sehen ist ein halbwüchsiges Mädchen, dessen Gesicht mit ernstem Ausdruck und ein Teil seines Oberkörpers. Der Umriss der Figur ist mit Kohle gezeichnet, der Hintergrund mit groben Pinselstrichen wiedergegeben. Die blässliche Schulterpartie des Mädchens und sein dunkelbraunes Haar heben sich davon ab. Das Blau im Hintergrund bezeichnet Wasser ebenso wie den Himmel, voneinander getrennt durch einen hellen Streifen Orange. Dieser legt sich auch um den Kopf des Mädchens, was die Assoziation an einen Heiligenschein hervorruft. Die Stimmung der Landschaft stimmt zuversichtlich, ganz im Gegenteil zum Gemütszustand des Mädchens. Der melancholische Gesichtsausdruck des jungen Kindes ist typisch für viele Bildnisse Heckels zu dieser Zeit. Die Darstellung entstand nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, in dem Heckel als Sanitäter in Flandern stationiert war und tagtäglich Zeuge von physischen und psychischen Verletzungen wurde. Ein Zustand von Betroffenheit, wie ihn Heckel nur zu gut kannte, spiegelt sich auch im Antlitz des Kindes wider.

Bettina Mühlebach

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