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Francisco Sierra, Black or White, 2010
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 40 x 50 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau

Francisco Sierra (*1977) ist in Santiago de Chile/CL geboren. 1986 kommt er in die Schweiz. Heute lebt und arbeitet er in Cotterd/CH. Bereits im Alter von fünf Jahren macht sich Sierras Doppelbegabung bemerkbar: Er malt sein erstes Ölbild und beginnt Violine zu spielen. Beiden Leidenschaften folgt er parallel. Kurz nach seinem Studium zum Konzertviolinisten wendet er sich wieder der bildenden Kunst zu. Autodidaktisch eignet er sich unterschiedliche Malweisen an, wobei sein Interesse vor allem dem amerikanischen Fotorealismus und den Künstlern Hieronymus Bosch (um 1450–1516) und Francisco Goya (1746–1828) gilt. In seinen Werken treffen hyperrealistische Malerei und handwerkliches Können auf oftmals absurde und bizarre Motive.

Wenn es sich nicht gerade um Fantasiewesen handelt, sind Francisco Sierras Bildmotive meist leicht zu identifizieren. Das liegt zum einen an ihrer foto- bis hyperrealistischer Wiedergabe, zum anderen an ihrer Alltäglichkeit – etwa wenn eine Tasse oder ein Schuh zum Bildgegenstand erhoben wird. Auch im Fall der Arbeit „Black or White“ ist den Betrachtenden umgehend klar, was sie vor Augen haben: zwei Schutz- respektive Gasmasken, eine in dunkler, die andere in heller Ausführung. Als vertraute Alltagsgegenstände kann man die Objekte hingegen nicht bezeichnen, vielmehr verbinden wir mit ihnen Ausnahmezustände wie Krieg und Katastrophe.

Sierra hat die beiden Masken auf einem Moskauer Flohmarkt gekauft. Meist arbeitet der Künstler bei mit fotografischen Vorlagen. Hier geht vom Objekte selbst und seiner Materialität aus. Sierra isoliert die Gegenstände, indem er sie auf einem vorwiegend schwarzen Hintergrund wiedergibt. Die plastisch dargestellten Masken wirken belebt, und ihre Anordnung schürt den Eindruck, dass sie sich miteinander im Dialog befinden. Sie erinnern an ausserirdische Wesen oder an Tierschädel. Letzteres korrespondiert mit dem Bildtypus des Stilllebens, insbesondere jenem des memento mori. Assoziation an Ereignisse werden wach, die im schlimmsten Fall mit dem Tod enden können. Die Schutzmaske wird (im Normalfall) nicht zum Spass, zum Rollenspiel oder für einen Identitätswechsel benutzt, sondern nur aufgesetzt, wenn äussere, lebensbedrohliche Faktoren dazu zwingen. Dass die beiden dargestellten Masken, gemäss Aussage des Künstlers, aus sehr dickem Gummi bestehen und daher unangenehm zu tragen sind, unterstützt diese Annahme.
Um das Lebendige zu schützen, greift man zu etwas „Totem“ – in Sierras „Black or White“ zu unbelebter Materie in Form von starkem Kunststoff. Der Schutz, den die Maske verspricht, ist hier wörtlich zu nehmen, denn sie sichert die lebenserhaltende Funktion des Atmens sowie das Gesicht samt Mimik und Gefühlsnerven. In gewissen Situationen scheint es auch im übertragenen Sinne nötig zu sein, eine Maske aufzusetzen, indem aufgrund von Konventionen und Erwartungshaltungen eine bestimmte Rolle eingenommen wird. Auf diese zweite Ebene macht der Titels des Gemäldes aufmerksam: Dieser kann auf die Farbgestaltung der dargestellten Objekte bezogen werden; vielen dürfte jedoch auch der gleichnamige Song von Michael Jackson aus dem Jahr 1991 in den Sinn kommen, in dem der Popstar die Frage von Identität aufgrund der Hautfarbe thematisiert.
Sierras „Black or White“ ist somit um einiges vielschichtiger, als sich vorerst vermuten lässt. Plötzlich irritiert die malerische Präzision und Perfektion, mit der das bedeutungsschwere Bildmotiv wiedergegeben wird. Die Schönheit der malerischen Könnerschaft und der Schrecken des negativ konnotierten Bildgegenstands kontrastieren miteinander. Ein Umstand, der Sierras Malerei immer wieder attestiert wird. Die realistische Wiedergabe der Masken sowie die dramatische Lichtführung in „Black or White“ erzeugen eine unangenehme Nähe zu den Objekten. Der Künstler konfrontiert uns mit einer unheilvollen Thematik, welcher wir uns nur schwer wieder entziehen können.

Bettina Mühlebach

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