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Robert Zünd, Am Sempachersee (Lebensfreude), um 1873
Oil on canvas, 123.5 x 184 cm, Gemälde

In Robert Zünds (1827–1909) Gemälde „Am Sempachersee“ mit dem „Untertitel Lebensfreude“ sitzt in der Mitte des schattigen Bildvordergrunds ein Mädchen mit einem Hund. Die Sonne bestrahlt die beiden durch eine Öffnung im Blätterdach. Links von ihnen spielt ein Knabe an einem Wasserlauf. Vom rechten Bildrand her schreitet eine Frau – ein Kind an ihrer rechten Hand führend und eines auf ihrem Arm tragend – ins Geschehen. Ein mächtiger Baum rechts und ein schlanker Baum links bilden zusammen eine Öffnung, die den Blick in die Ferne auf den hellblauen See und die abschliessende Gebirgskette freigibt.

Zünd gehört mit seiner unverwechselbaren Art der Naturauffassung zu den bedeutenden Malern der Schweizer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Obwohl Zünd in Genf, dem damaligen Zentrum der schweizerischen Landschaftsmalerei, im Atelier von François Diday (1802–1877) und Alexandre Calame (1810–1864) ausgebildet wird, kann sein Œuvre nur bedingt der Tradition der Genfer Schule zugeordnet werden. Diday und Calame entdecken den Wert heimischer Landschaften als Bildgegenstand und kommen der Forderung einer nationalen Malerei nach, die nach der Gründung des Nationalstaates 1848 erhoben wird. Stehen bei ihnen Motive des Hochgebirges im Vordergrund, gibt Zünd stimmungsvollen Ausblicken in den Voralpen oder dem Mittelland, vornehmlich in der Umgebung von Luzern, den Vorrang. Gottfried Keller bemerkt 1881 bei einem Besuch in Zünds Atelier: „Kein einziges Touristenstück, keine Vedute oder Knalleffekt aus dem nahen Hochgebirge darunter, sondern lauter Gegenstände, welche das ungeübte Auge, der ungebildete Geschmack draussen im Freien weder sieht noch ahnt, die aber doch dort und nicht erfunden sind…“ Dieser Blick auf das Unspektakuläre, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung des Alltags als kunstwürdiges Thema einsetzt, schafft die Voraussetzung für den Beginn der modernen Malerei.

Besonderen Gefallen findet Zünd an lichterfüllten Landschaften mit Seen, Weihern und Flüssen. Die Szenerie des Sammlungsgemäldes kann dank Zünds akribischem Realismus identifiziert werden als eine Landschaft am Sempachersee bei Sursee vor der Pilatuskette. Mit seiner von ungewöhnlicher Geduld und Detailgenauigkeit geprägten Ausarbeitung verleiht er einfachen Motiven eine einzigartige Ausdruckskraft. Zünd reist in seinem Leben einige Male nach Paris, München und Dresden, wo ihn Werke niederländischer und französischer Meister beeindrucken. Es können zwar wenig direkte Vergleiche zu früheren oder zeitgenössischen Künstlern gezogen werden, durch die Beschäftigung mit deren Werken findet Zünd jedoch zu seiner eigenen künstlerischen Sprache, die die altmeisterliche Technik mit der Lichtempfindung der frühen Niederländer und der Maler von Barbizon verbindet. Das vorliegende Werk belegt, dass Zünds Malerei wesentlich durch das Licht bestimmt ist. Die ruhige Seenlandschaft beansprucht viel Raum, und die Wasserfläche beeinflusst die Helligkeit sowie die Beleuchtung entscheidend. Zünd gliedert seinen Bildraum stufenweise nach hinten und weiss die einzelnen Bildzonen durch verschiedene Lichtstärken gegeneinander abzugrenzen: Den schattigen Vordergrund hält er detailgetreu fest; die distanzierten Landschaften werden lichter und immer undeutlicher.

Jedes der Werke Zünds ist das Resultat zahlreicher künstlerischer Interventionen. Bereits mit den ersten Skizzen kommt der Wahl des Betrachterstandpunkts, der Weite des Gesichtsfelds und der Tiefe der Perspektive grosse Bedeutung zu. Die Zeichnung steht in Zünds Schaffen im Zentrum. Sein zeichnerisches Œuvre ist umfangreich und zeigt seine künstlerische Entwicklung deutlicher auf als seine Malerei. Wenige Leute bekamen seine Studien zu Gesicht, da er sie, trotz ihrer faszinierenden Ausstrahlungskraft, unter keinen Umständen hergeben wollte. Wie sein Malerfreund Rudolf Koller (1828–1905) erachtet Zünd die Vorarbeiten nicht als eigenständige Kunstwerke, sondern als Hilfsmittel für die Vollendung eines Gemäldes. Die Umsetzung der vorangegangenen Studien zum fertigen Bild kann als technische Angelegenheit bezeichnet werden: Die Komposition wird auf die Leinwand gepaust. Danach folgt die Untermalung, bei der Zünd auch Licht und Schatten verteilt. Es folgt ein mehrere Wochen andauernder Trocknungsprozess, an den Schichten von sorgfältig aufgetragenen Lasuren anschliessen. Seine Arbeitsmethoden ändert er kaum, findet aber in den 1860er-Jahren zu einer neuen Technik der Untermalung, die Koller sehr bewundert: Indem er bestimmte Partien weiss untermalt und dann mit Lokalfarbe lasiert, gelingt es ihm, dem Licht mehr Glanz zu verleihen.

Zünd schuf „Am Sempachersee (Lebensfreude)“ für einen vom Aargauischen Kunstverein 1872 ausgeschriebenen Wettbewerb. Unter dem Motto „Lebensfreude“ wurden ausgewählte Schweizer Künstler aufgefordert, Werke einzusenden. Da die Jury zwischen Zünds Landschaft und Arnold Böcklins „Muse des Anakreon“ (vgl. Inv.-Nr. 13) nicht übereinkommen konnte, entschied man sich beide Werke für die Aargauische Kunstsammlung anzukaufen und somit das „realistische“ wie auch „idealistische“ Lager zu befriedigen.

Karoliina Elmer

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