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Rudolf Urech-Seon, Die Nacht, 1940
Öl auf Leinwand, 76 x 99 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Brigitt Lattmann

Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 verarbeitet der 1876 in Seon (Kanton Aargau) geborene Künstler Rudolf Urech-Seon (1876–1959) in seinen damals noch gegenständlich-naturalistischen Gemälden und Zeichnungen insbesondere die Landschaft rund um seinen Geburtsort. Die topografischen Eigentümlichkeiten des Seetals, die lokale Pflanzenwelt und die Industrialisierung bilden dabei Hauptelemente des Werks und werden von Urech-Seon immer wieder neu interpretiert und abgebildet. Ab 1948 findet der Künstler zu einer konstruierten, auf wenige Formen beschränkten Darstellungsweise. Um sich vom gleichnamigen Grafiker Rudolf Urech (1888–1951) abzuheben, fügt der Künstler nach seinem Kunststudium in München (1913–1916) seinem Namen den Zusatz „-Seon“ hinzu.

Nachdem Rudolf Urech-Seon seine Arbeiten meist mit geografischen Angaben wie beispielsweise „Schärhügel“ oder neutralen Beschreibungen wie zum Beispiel „Baumstämme“ versieht, entstehen zwischen 1939 und 1945 Werke, welche weiterhin unmissverständliche, jedoch weniger konkrete Überschriften tragen wie „Triumph des Todes“, „Realpolitik“, „Dämonen“ oder „Die Nacht“.
Dieses zuletzt genannte Bild, welches 1992 in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses gelangt, ist eines der ersten Beispiele einer etwa 25 Gemälde umfassenden Werkgruppe. Diese während des Krieges entstandenen Malereien sind ein Versuch Urech-Seons, die Grausamkeit des Krieges und die zerstörerische Gewalt der Macht künstlerisch zu verarbeiten und damit ins Bild zu fassen.
Die figurativen Werke zeigen surrealistisch anmutende Kreaturen – schreckliche Tausendfüssler, Maskeraden oder aggressive Vögel.
Das in Öl auf Leinwand gemalte Werk „Die Nacht“ zählt dabei zu den inhaltlich komplexeren Bildern: Dominierend ist ein flächiger, rotbrauner Hintergrund, welcher Urech-Seon zwischen 1939 und 1945 wiederholt verwendet hat und als Symbol für das Nazi-Deutschland gedeutet werden kann. Während im Gemälde „Die Nacht“ die Farbe als formfreier Code fungiert, sind zwei Gemälde in Privatbesitz verbürgt, welche die Gesichtskonturen Adolf Hitlers in demselben Braun und vor einem gelben Hintergrund zeigen. Betitelt sind diese mit „Der Idiot“ (1941) und „Schwere Auseinandersetzung“ (1945). Das Zentrum des Bildes „Die Nacht“ wird von einer gelben Linie umschlungen, welche in ihrer Form an die sich im Nachlass des Malers befindende Malpalette erinnert. In der rechten, oberen Bildecke ist ein reduziertes Gesicht angedeutet: Schwarze Konturlinien bezeichnen Nase, Auge und Mund vor einem blauen Hintergrund. Ist hier etwa der Maler selbst skizziert, wie er einen Pinsel in die Palette tunkt? Das Zentrum der „Palette“ erinnert überdies an ein menschliches Auge. Dieser Bildteil könnte somit als Weiterführung des Selbstporträts gelesen werden: Als Doppelporträt eines Malers, welcher sein Sehen und Fühlen durch Pinsel und Farben auf die Leinwand überträgt.
Als erster Künstler, welcher sich im Kanton Aargau der Abstraktion verschreibt, wird Urech-Seon bis zu seinem Tod 1959 nur von wenigen verstanden. Im konservativen Umfeld des Seetals – wo die meisten Personen eine figurative Malerei bevorzugen – steht Urech-Seon auch bezüglich dieser „Kriegsverarbeitung“ alleine da. Im Sinne der „Geistigen Landesverteidigung“ dominieren einfach lesbare, die Schweiz verherrlichende Werke und nicht dunkle, auf Innerlichkeit abzielende Kompositionen. Zeitlebens verbunden zu seinem Geburt- und Sterbeort Seon geht Urech-Seon diesen „eingeschlagenen“ Weg jedoch bis zu seinem Tod 1959 unbeirrt weiter. 1947, mit über 70 Jahren wird er schliesslich auch in die „Allianz“, der damals progressivsten Schweizer Künstlergruppe, aufgenommen und nimmt an wichtigen Ausstellungen teil, unter anderem am Pariser Salon des Réalités Nouvelles, in der Galerie des Eaux Vives in Zürich, im Helmhaus und im Kunsthaus Zürich.

Christian Herren

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