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André Thomkins, Dieter Roth beim Fisch waschen in Reykjavik, 1981
Bleistift auf Karton, 24.2 x 18.2 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Jörg Müller

Das Aargauer Kunsthaus besitzt zahlreiche wichtige Werke und Werkgruppen von André Thomkins (1930–1985). Der Ankauf der hier besprochenen Zeichnung ist in diesem direkten Sammlungsbestreben zu sehen. Das Werk wurde dem Aargauer Kunsthaus während der Ausstellung „Dieter Roth. Selbste“ zum Kauf angeboten und belegt die Künstlerfreundschaft zwischen zwei wichtigen Exponenten des Schweizer Kunstschaffens nach 1950. Es ist eine rasch ausgeführte, höchst lebendige und persönliche Zeichnung. Sie trägt die umschreibende Bleistiftaufschrift „Dieter Roth beim Fisch waschen in Reykjavik“. Die Zeichnung ist signiert mit ‚A. Thomkins, 1981‘.

Thomkins, in Luzern geboren, verbrachte den grössten Teil seines Lebens in verschiedenen Orten Deutschlands. Er verfolgte das künstlerische Geschehen seiner Zeit mit grösster Aufmerksamkeit und pflegte ein disziplinen- und spartenübergreifendes Denken und Handeln. Seine zahlreichen Künstlerfreundschaften und Bekanntschaften sowie seine intensiven Kontakte zu verschiedenen Künstlergruppen (Cobra, Nouveau Réaliste, Fluxus und andere) können als eigentliches Kontinuum betrachtet werden. Sie waren ihm Inspiration und er war Inspirator.

Das Künstlerporträt hat eine lange Tradition. Der Blick auf den Künstlerkollegen schafft die Gelegenheit, dessen Arbeitstechnik und Atelier zu erforschen und das Bild, das man sich von ihm macht, zu ergründen und zu formen. Thomkins zeigt Roth beim Waschen eines Fisches. Die Ausführung der Zeichnung erfolgte mit sicherem Strich. Roth steht im Morgenmantel in der Küche vor dem Waschtrog und hält einen Fisch in der Hand. Seine Haltung drückt eine klare Konzentration auf die Tätigkeit aus. Der Kopf ist nach gesenkt und die Verdoppelung des Kragens deutet Bewegung an. Der Blick ist auf den Fisch gerichtet und der Wasserhahn läuft. Der Titel könnte für den mit der Zubereitung von Fischen wenig vertrauten Betrachter irreführend sein. ‹Fisch waschen› meint, dass nicht nur die Haut des Fisches gewaschen wird, sondern auch die Schuppen entfernt und die Innereien aus dem aufgeschlitzten Bauch herausgenommen werden. Erst dann wird der Fisch aussen und innen feinsäuberlich gewaschen. Diese beiden vorbereitenden Tätigkeiten, das Schuppen und Waschen der Fischhaut und das Ausnehmen und Auswaschen der Bauchhöhle, sind zentral, damit der Fisch überhaupt geniessbar wird. Es ist denn auch der aufgeschlitzte Fisch, auf den der Betrachter blickt. Roth ist gerade dabei, die Innereien zu entfernen. Zu diesem Zweck muss er mit den Fingern in den aufgeschnittenen Bauch des Fisches greifen, die Innereien herausnehmen und das Gewebe, dass die Innereien an Skelett und Muskulatur fest hält, lösen. Die Haut des Fisches ist glitschig, Roth hält ihn an der Schwanzflosse fest.

Stellt man dieses Bildnis des Künstlers Roth in den Kontext seiner Produktion und seines Rollenverständnisses, dann liest sich dieses Künstlerbildnis wie ein Programmbild. 1982 vertrat Roth die Schweiz in ihrem Länderpavillon an der „Biennale di Venezia“ mit der viel beachteten Film-Installation „Diary“. Super-8-Filme zeigen Roth im Alltag in den Monaten vor der Eröffnung der Biennale. Die Vorbereitung wurde zur Schau gestellt, sie wurde zum Kunstwerk erhoben. Fünfzehn Jahre später, 1997/1998, filmte er sich unerbittlich im Alltag, woraus das Werk „Soloszenen“ entstand. 128 Fernsehmonitore zeigen, wie Roth sein Leben verrichtet: Roth im Badezimmer, Roth beim Lesen im Bett, Roth am Arbeitstisch und so weiter. Das Bedeutungsvolle ist das Alltägliche, Bedeutung schreibt der Betrachter den Dingen zu. Fische waschen ist so bedeutungsvoll wie alles andere auch. Thomkins formulierte es so: „Mich lockt die Vielfalt des Existierenden, die ganze Breite des Sichtbaren“.

Thomas Schmutz

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