Öl auf Leinwand, 54 x 76 cm
Ein wichtiger Schwerpunkt der Sammlung des Aargauer Kunsthauses bildet die umfangreiche Werkgruppe von Caspar Wolf (1735–1783). Sie lässt uns die Entwicklung der Malerei von der Aufklärung bis zur Moderne anhand eines für die Schweiz typischen Motivs nachvollziehen: Die Darstellung des Bergs erschliesst sich im Aargauer Kunsthaus ausgehend von Caspar Wolf über die heroischen Landschaften Alexandre Calames (1810–1864) und François Didays (1802–1877) bis zu Ferdinand Hodler (1853–1918).
Im Konglomerat von Wolfs Alpenbildern kommen Höhlendarstellungen zwar nicht in hoher Anzahl vor, aber dafür in grosser Variation als Aussen- und Innenansichten. Mit diesen erregt er die besondere Aufmerksamkeit des Publikums. Der Überlieferung nach wurde der Maler von seinen Zeitgenossen „Höhlenwolf“ genannt. Wolfs Vorliebe für Höhlen scheint mit seinem geologischen Interesse zusammenzuhängen. Ihn drängt es, die Natur nicht nur abzubilden, sondern in sie einzudringen und den Aufbau der Erde unter der Oberfläche zu beobachten. Gemäss seiner empirischen Haltung, die Kunst und Wissen in sich vereint, versucht Wolf, die Natur nach ihren immanenten Gesetzen zu begreifen und sie in der Malerei zu rekonstruieren. In Wolfs Faszination für Höhlen wurde auch seine eigene schwermütige Seelenverfassung wiedererkannt, wobei der Sinn für geheimnisvolle, verborgene Naturorte charakteristisch ist für die vorromantische Gestimmtheit des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Mehrere Werke von Wolf in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses zeigen die Beatushöhle, eigentlich ein ganzes Höhlensystem, das sich am Thunersee in der Nähe von Interlaken befindet. Die gewählten Ausschnitte sind dabei vielfältig. In unserem Bild sind sowohl die Felsen der Höhle als auch links im Hintergrund ein Teil des Thunersees zu sehen. Die Formation des Jochs ermöglicht nicht nur einen Blick auf das Äussere der Höhlenformation, sondern auch ins Innere und schliesslich sogar einen Durchblick zu weiter hinten gelegenen Felswänden.
Vor Wolf konzentrieren sich die Landschaftsmaler auf die Darstellung der idyllischen Voralpenwelt. Wolf ist der erste Künstler, der sich in das Gebirge vorwagt und die Berge von der blossen Hintergrundkulisse zum bildwürdigen Gegenstand erhebt. Neu ist die Tatsache, dass der Maler die abgebildete Landschaft tatsächlich selbst erlebt hat und somit seine konkrete Erfahrung in bis anhin unbekanntem Naturalismus wiedergibt. Wolfs Zeitgenossen bewundern ihn für seine Naturtreue, und seine Bilder legitimieren die Naturbeobachtung in der Malerei. Wolf erlangt zwar Bekanntheit, seine Art der Naturauffassung entspricht aber nicht dem Publikumsgeschmack. Bei seinem Tod 1783 ist er verarmt und als Maler in Vergessenheit geraten.
Online gestellt: 2018