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Clemens Klopfenstein, Geschichte der Nacht. Basel Badischer Bahnhof, 1978/1996
Reprografie auf Barytpapier (mit Filmstills), selengetont, je 50 x 39 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Clemens Klopfenstein

Clemens Klopfenstein (*1944) ist am Bielersee aufgewachsen – heute lebt und arbeitet er in Umbrien. Seit Mitte der 1960er-Jahre ist er bekannt für sein eigenständiges, wegweisendes Œuvre als Kameramann und Filmemacher. Oft vergessen wird seine Tätigkeit als Fotograf, Zeichner und Maler. Dabei zeichnen sich gerade seine frühen Essayfilme durch eine malerische Helldunkelästhetik aus. Neben dem Einfluss des Film noir inspirierten ihn die berühmten Radierungen „Carceri“ (1745 – 1750): Giambattista Piranesis (1720 – 1778) Architekturfantasien zeugen von einer diffus beleuchteten Bühnenhaftigkeit, wie man sie auch in Klopfensteins Filmen findet. Flüchtige Schwarzweissfotos, die er in den 1980er-Jahren auf Spaziergängen durch das nächtliche Rom und Umbrien gemacht hat, gelten zudem als Vorstudie für seinen berühmten Experimentalfilm „Geschichte der Nacht“ von 1978. Das Fotoportfolio „Geschichte der Nacht. Basel Badischer Bahnhof“ (1978/1996) umfasst drei Schwarzweiss-Barytabzüge und zwei beschriftete Blätter. Bei den Fotografien handelt es sich um drei aufeinanderfolgende Stills aus „Geschichte der Nacht“. Zu erkennen ist das nächtliche Eingangstor des Badischen Bahnhofs in Basel. Unter dem hell erleuchteten Pfortendach lässt sich die Silhouette einer Person erkennen, die sich in den drei Bildsequenzen aus dem Lichtschein heraus, den Treppenabsatz hinunter und in die dunkle Nacht bewegt. Die Körnigkeit und leichte Unschärfe sind der Technik, der Bewegung und Lichtsituation sowie dem Aufnahmestandpunkt geschuldet. Abgesehen davon tragen sie zur geheimnisvollen Stimmung bei.

Die zwei mit Titel, Filmabriss und Impressum beschrifteten Blätter fungieren als Vor- und Nachspann der kleinen Filmskizze. Das erste der drei Fotos ist unterdessen zu einer Ikone der Schweizer Kunst geworden: Zunächst zierte es das Plakat zum Film „Geschichte der Nacht“; 1992 war es Titelbild des Standardwerks „Ars Helvetica. Kunstszene heute“ (Bd. XII) und 1996 das Cover des Katalogs „5ème Biennale Internationale du Film sur l’Art“ im Centre Georges Pompidou in Paris. Das Portfolio wurde 1996 von der Edition Bernische Stiftung für Film, Fotografie und Video herausgegeben. Nach seiner Präsentation in der „Nachtbilder“-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus 2015 wurde es für die Sammlung des Museums angekauft.

Der Film „Geschichte der Nacht“ wurde während acht Jahren in 50 europäischen Städten gedreht: von Dublin und Helsinki über Basel und Rom bis Istanbul. Entstanden ist eine eindringliche visuelle Studie nächtlicher Landschaften. Ohne zusätzliches Licht, dafür mit dem damals empfindlichsten Filmmaterial und seiner 16-mm-Bolex mit Handaufzug drehte Klopfenstein, meist unbemerkt, an Bahnhöfen, in leeren Strassen, in Clubs und an nächtlichen Festivitäten. Die wenigen im Film vorkommenden Originaltöne – ein murmelndes Gespräch oder ein vorbeirauschendes Auto – wurden separat aufgenommen und im Studio nachträglich hinzugefügt. Zusammen mit experimentellen Musiktönen bildet sich ein Klangteppich, der die tableauartigen Einstellungen subtil unterstreicht. Vor der Leinwand nimmt das Publikum die Perspektive des Kameramanns ein und schlüpft damit in die Rolle des stillen Beobachters.

Julia Schallberger

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