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Marianne Kuhn, Ararat, 1994
Graphit auf Papier, 128.5 x 129 cm, Arbeit auf Papier
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Marianne Kuhn

„Ich begebe mich zeichnend an den Ort des Geschehens. Fremd und vertraut ist mir die Welt dort und hier. Beginne die Reise auf Landkarten – fahre mit dem Finger entlang den Meeren, den Grenzen, den Flüssen – erdenke die Berge, die Steppen, die frostigen Böden“. Diese Sätze, die Marianne Kuhn (*1949) 1992 im Zusammenhang ihrer „Russland“-Zeichnungen geschrieben hat, mögen für eine lange Reihe von Werken und insbesondere auch für die beiden Zeichnungen „Ararat“ und „Aralsee“ von 1994 gelten. Die Künstlerin setzt sich in diesen Werken mit einem klar begrenzten geografischen Raum auseinander, sie isoliert bestimmte Regionen, setzt sie als Inseln auf das Weiss des Blattes. Zeichnend eignet sich die Künstlerin diese Räume an. Sie studiert sie zunächst auf Landkarten, um eine geografische und topografische Vorstellung auszubilden. Zu diesem kartographischen Zugriff kommt ein weiterer hinzu: mit dem Nachzeichnen von Höhenkurven, Grenzverläufen und Uferzonen verbindet Marianne Kuhn Erinnerungen an Bilder dieser Gegenden, Bilder, die sie in der Literatur findet, die sie in Filmen oder in der Kunst gesehen hat. Sie erinnert sich an Textpassagen, an einzelne Sätze, die sie in manchen Fällen auch schon viel früher gelesen hat, und fügt diese in ihre Zeichnungen ein. In „Ararat“ folgen die einzelnen Zitate den Höhenkurven des Berges, so dass die topographische Gliederung des Raumes um eine narrative Dimension erweitert wird. Die Schriftzüge sind jedoch nur vereinzelt lesbar; das Schreiben bleibt letztlich ein zeichnerischer Vorgang, der sich dem Betrachter nicht so sehr als Sprache, sondern vielmehr im Sinne einer zeichnerischen Verdichtung mitteilt.

Indem sie Graphitspuren Schicht für Schicht übereinander legt, erschafft Marianne Kuhn Orte in der Zeichnung, ohne den in diesen Zeichnungen dargestellten Raum tatsächlich betreten zu haben. Die subjektiven Erinnerungsräume, die die Künstlerin dabei erschafft, lesen sich als feine, handschriftliche Graphitspuren. Aus der Distanz betrachtet ordnen sie sich zur räumlich strukturierten Aufsicht, deren Linien der Betrachter auch aus der Nähe folgen kann. In „Aralsee“ dagegen werden die Schichten zur dunklen, dicht aufgetragenen Oberfläche, an der sich gerade die sinnlichen Qualitäten des Materials offenbaren: wie wenn die Sonne auf die Wasseroberfläche scheinen würde, schimmern die Schichten aus Wachs und Graphit mal metallen, mal eröffnen sie eine Tiefe, die an die tatsächliche Tiefe dieses Sees erinnern mögen.

„Aralsee“ kam als grosszügige Schenkung von Hortense und Andreas Hemmeler-Fischer in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Marianne Kuhn ergänzte diese Schenkung um das Werk „Ararat“: die beiden Arbeiten runden die Gruppe von Werken dieser Künstlerin bestens ab.

Barbara von Flüe

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